2. Bundesliga
Im Osten Baden-Württembergs braut sich etwas zusammen – und zwar schon seit Jahren! Der 1. FC Heidenheim 1846 hat sich langsam, aber sicher unter den Top-Clubs in Deutschland etabliert. Nun folgte in einem dramatischen Finale am 34. Spieltag die Krönung dieser Entwicklung: der erstmalige Aufstieg in die Bundesliga.
>>> Wahnsinn in der Nachspielzeit: Heidenheim steigt auf
"Herzliche Gratulation an den 1. FC Heidenheim 1846 zum ersten Aufstieg in die Bundesliga in seiner Vereinsgeschichte. Nicht erst die neun Jahre in der 2. Bundesliga seit 2014 waren von Kontinuität geprägt: Trainer Frank Schmidt ist gebürtiger Heidenheimer, früherer Profi des Clubs und bereits seit 2007 Chefcoach. Und schon fast drei Jahrzehnte ist der Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald in Führungspositionen tätig", sagte Hans-Joachim Watzke, Sprecher des DFL-Präsidiums: "Mit dem 1. FC Heidenheim 1846 heißen wir das 57. Bundesliga-Mitglied seit der Premiere in der Saison 1963/64 willkommen. Nochmals Glückwünsche an die Vereinsführung, die Mannschaft, an den Trainerstab und die Fans!"
"Kontinuität" ist ein Wort, das im Fußball immer wieder fällt. Managern und Präsidenten ist diese Stetigkeit bei Personalentscheidungen – vor allem auf der Trainerposition – sehr wichtig, das wird landauf und landab stets betont. Vereine wollen "eine Ära prägen", oder auch "durch dick und dünn" mit ihren Coaches gehen. Im Misserfolgsfall zeigt sich dann erst wirklich, wie es bei diesen Textpassagen in den Pressemitteilungen um die Haltbarkeit bestellt ist. Bleiben Ergebnisse etwas länger aus, werden häufig "neue Impulse von außen" hinzugeholt.
Dass diese Impulse für die Rückkehr des Erfolgs aber auch von innen kommen können, wird selten wahrgenommen. Ein Vorbild in Sachen Kontinuität ist ganz klar der Sport-Club Freiburg: Erst setzte der Verein 16 Jahre lang ohne Unterbrechung auf Volker Finke, mit dem 1993 der erstmalige Aufstieg in die Bundesliga gelang. Trotz der Abstiege 1997, 2002 und 2005 blieb Finke im Amt. 1998 und 2003 gelang der direkte Wiederaufstieg mit dem Baumeister der "Breisgau-Brasilianer". Nach zwei vierten Plätzen in der 2. Bundesliga 2006 und 2007 trennten sich die Wege von Freiburg und dem Erfolgstrainer. Mit Christian Streich durchlebt der SC aktuell eine zweite Ära, seit über elf Jahren ist er der Chef an der Freiburger Seitenlinie. Auch er durfte trotz des Abstiegs 2015 bleiben, 2016 wurde dies mit dem direkten Wiederaufstieg belohnt. Mittlerweile kämpft der SC um die Qualifikation zur Champions League.
Etwas unbeobachtet von der großen Fußballbühne Deutschlands spielt sich seit 2007 eine ähnliche Geschichte im Osten Baden-Württembergs, 187 Kilometer Luftlinie entfernt von Freiburg, ab: Im September jenes Jahres wurde nämlich ein gewisser Frank Schmidt Chefcoach des 1. FC Heidenheim 1846 in der Oberliga. Knapp 15 Jahre später ist der FCH nun oben in der Bundesliga angekommen – und Schmidt trainiert dort immer noch.
Der Fußball-Lehrer ist der aktuell dienstälteste Trainer im deutschen Profi-Fußball. Und er hat lange noch nicht fertig: Im Oktober 2021 verlängerte Schmidt seinen Vertrag an der Brenz bis zum Sommer 2027. Bliebe er so lange auf der Bank, wären das knapp 20 Jahre! "Frank Schmidt war der entscheidende Faktor für unsere erfolgreiche, sportliche Entwicklung in den vergangenen Jahren und wird das auch in Zukunft sein", sagte Heidenheims Vorstandsvorsitzende Holger Sanwald nach der Vertragsverlängerung. Warum der Coach nach so langer Zeit immer noch Lust auf den Job in Heidenheim hat? "Die erfolgreiche Entwicklung, die wir in den vergangenen Jahren beim FCH gemeinsam genommen haben, ist noch lange nicht zu Ende", war sich Schmidt bei der Verlängerung sicher.
Eine Entwicklung, die vor allem der Trainer mit angestoßen hat: In der Oberliga Baden-Württemberg übernahm er 2007 ein etwas strauchelnd in die Saison gestartetes Team und führte es dort schnell nach oben auf Platz vier und zum gleichbedeutenden Aufstieg in die Regionalliga. Im Folgejahr wurde Schmidt mit seinem Team Meister in der Regionalliga Südwest und stieg so in die 3. Liga auf. Direkt etablierte der Coach den Verein im oberen Drittel der 3. Liga und schloss die erste Heidenheimer Saison im Profi-Fußball als Sechster ab. Nach den Rängen neun, vier und fünf folgte die Meisterschaft in der 3. Liga – vor dem damals übermächtig erscheinenden Aufsteiger RB Leipzig.
Seit 2014 spielt Heidenheim in der 2. Bundesliga. Knapp 49.000 Einwohner hat die Stadt an der Brenz, die etwa 17 Kilometer südlich von Aalen und 33 Kilometer nördlich von Ulm liegt. Auch hier gelang es Schmidt schnell, die gesamte Mannschaft auf das gehobenere Niveau zu hieven: 2015 ging Heidenheim direkt als Achter ins Ziel. In den neun Jahren in der 2. Bundesliga musste der FCH nur eine Saison um den Klassenverbleib kämpfen: 2017/18. Zwar schlossen Schmidt und seine Mannen um die Heidenheimer Ikone Marc Schnatterer das Spieljahr auf Platz 13 ab, am 29. Spieltag stand das Team aber noch auf Rang 16.
Obwohl die Heidenheimer neun der 34 Spieltage 2017/18 auf Platz 16 standen, blieb man vergleichsweise ruhig und vertraute Schmidt und dessen Arbeit. Ein Trainerwechsel kam gar nicht in Frage. Der FCH wurde belohnt. Zum einen mit dem Klassenverbleib, zum anderen mit dem fünften Rang in der Saison danach. 2019/20 ging es sogar noch zwei Plätze weiter nach oben: Heidenheim, das unter Schmidt viel Wert auf eine geordnete Defensive mit viel Laufarbeit legt, wurde Dritter und spielte in der Relegation mit dem SV Werder Bremen um den Aufstieg.
Nach zwei Remis, einem 0:0 an der Weser und einem 2:2 an der Brenz, blieb aufgrund der Auswärtstorregel der Aufstieg für das Team von der Ostalb aus. Danach verloren die Heidenheimer ihre Leistungsträger wie den späteren U21-Europameister Niklas Dorsch, Top-Stürmer Tim Kleindienst (beide zu KAA Gent) oder auch Defensivspezialist Sebastian Griesbeck (Union Berlin) an finanziell besser aufgestellte Clubs. Ein gängiges Phänomen: Spieler werden bei kleineren Clubs entwickelt und suchen dann den nächsten Schritt andernorts. Im vergangenen Sommer gingen beispielsweise Kreativspieler und Standardspezialist Tobias Mohr (Schalke), Abwehrchef Oliver Hüsing (Bielefeld) und Knipser Robert Leipertz (Paderborn).
Schmidt und dem FCH gelingt es aber durch exzellentes Scouting, sich immer wieder Talente aus der 3. Liga und sogar der Regionalliga zu sichern, die dann nahtlos ins Team integriert werden und sich von Saison zu Saison steigern können. Nach dem verpassten Aufstieg 2020 wurde der FCH Achter und Sechster – trotz zahlreicher Abgänge von Stützen des Teams in den jeweiligen Sommer-Transferperioden etablierten sich Schmidt und Heidenheim in den Top-25 in Deutschland. "Sich diesen Herausforderungen zu stellen, treibt mich als Trainer auch nach dieser langen Amtszeit immer wieder aufs Neue an", sagt Schmidt.
In dieser Saison zeigt die Entwicklungskurve vieler Spieler deutlich nach oben, das spiegelt sich auch im Tabellenbild der 2. Bundesliga wider: Der FCH hat den Schritt in die Top-18 Deutschlands geschafft, hat dem Aufstieg in die Bundesliga geschafft. In einem dramatischen Finale drehten die Schmidt-Schützlinge ein 0:2 in Regensburg und schossen sich in der Nachspielzeit zum benötigten Sieg - mit 67 Punkten (und der besseren Tordifferenz gegenüber Darmstadt) sicherte Heidenheim sogar noch die Zweitliga-Meisterschaft. Das Team spielte eine wahre Rekordsaison: So viele Zähler hatte das Team von Frank Schmidt noch nie in der 2. Bundesliga. Der Bestwert zuvor waren 55 Punkte 2018/19 und 2019/20. Mehr als die derzeit 67 Treffer hatte der Club von der Ostalb zuvor auch noch nicht.
Die drittbeste Offensive der 2. Bundesliga, die zweitbeste Defensive der 2. Bundesliga hinter Tabellenführer Darmstadt, die mit Abstand beste Tordifferenz und in Rückkehrer Kleindienst den erfolgreichsten Stürmer (25 Tore) in der 2. Bundesliga: Heidenheim hat sich unter Schmidt kontinuierlich zu einem Spitzenverein im Unterhaus entwickelt. Gegnerische Trainer bezeichnen die Spielweise des FCH unisono als "eklig", weil sie körperbetont, laufstark und dazu in der Offensive auch noch technisch anspruchsvoll und äußerst zielstrebig daherkommt. Heidenheim hat die höchste Abschluss-Effizienz (+18,9!) der 2. Bundesliga vorzuweisen. Seit dem Zweitligaaufstieg 2014 holte Heidenheim in 306 Spielen 459 Punkte – mehr als jeder andere Club in diesem Zeitraum.
"Ich habe hier als Verantwortlicher in der Landesliga angefangen, Frank kam als Spieler in der Verbandsliga dazu. Das ist eine Lebenschance für uns jetzt", sagte Vorstandvorsitzender Sanwald und fügt an: "Der Aufstieg in die Bundesliga wäre wirklich eine fantastische nächste Etappe auf unserer Reise", so der Heidenheimer Funktionär. Der erste Endpunkt dieser Reise ist erreicht - mit dem Aufstieg, der unfassbar emotional daher kam.
Reiseleiter ist und soll Frank Schmidt bleiben, der selbst gebürtiger Heidenheimer ist und einst unter anderem für den 1. FC Nürnberg, Alemannia Aachen und den SV Waldhof Mannheim spielte. Egal, ob in der 2. Bundesliga oder der Bundesliga: Bleibt Schmidt, so wie es zu erwarten ist, an der Seitenlinie der Heidenheimer, wird er in der kommenden Saison Volker Finkes Amtszeit beim SC Freiburg übertreffen.
Derartige Bestwerte interessieren den akribischen Schmidt eher weniger, er entwickelt und formt lieber fortlaufend Spieler. Wie beispielsweise aktuell Adrian Beck (SSV Ulm) und Lennard Maloney (BVB II), die aus der Regionalliga beziehungsweise der 3. Liga kamen und im Mittelfeld und der Abwehr schnell zu den besten Akteuren der 2. Bundesliga zählten. Auch Jan-Niklas Beste, der von Bremen geholt wurde, aber jahrelang an Teams in der 2. Bundesliga ausgeliehen wurde, war ein Volltreffer: zehn Treffer und zwölf Assists in 32 Einsätzen.
Ein Aufstieg dürfte an Schmidts Mindset nichts ändern, ihn wohl eher in seiner Meinung zur Arbeit beim 1. FC Heidenheim 1846 bestärken: "Ich freue mich auf die Aufgaben in den nächsten Jahren, wir sind noch nicht fertig!" Man darf gespannt sein, wohin der zukünftige Weg den FCH noch führen wird. Eines wird sicher sein: Das Wort "Kontinuität" wird in Heidenheim nicht einfach nur so gesagt oder geschrieben. Es wird gelebt.
Patrick Dirrigl