Bundesliga
Der 1. FSV Mainz 05 ist das zweitstärkste Team der Rückrunde – vor dem FC Bayern München und nur hinter Borussia Dortmund. Am 29. Spieltag behaupteten sich die Mainzer sogar im direkten Duell mit dem FCB und gewannen 3:1. bundesliga.de wirft einen Blick auf das Mainzer Rückrunden-Wunder.
Die Rheinhessen haben mit dem Sieg gegen die Bayern einen neuen Rekord aufgestellt – zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte blieb der 1. FSV Mainz 05 in zehn aufeinanderfolgenden Bundesliga-Spielen innerhalb einer Saison unbesiegt. Sechs Siege und vier Unentschieden bildeten diese Serie. Saisonübergreifend war nur Thomas Tuchel 2010 besser – doch auch die Serie von zwölf Spielen ist in Reichweite.
>>> 3:1 - 1. FSV Mainz 05 dreht das Spiel gegen den FC Bayern München
Mit 25 Zählern aus zwölf Rückrunden-Spielen steht der FSV nicht nur auf dem zweiten Platz der Rückrundentabelle, sondern hat auch insgesamt schon starke 45 Punkte geholt – mehr holte Mainz nach 29 Spieltagen noch nie. Zudem trafen die Rheinhessen bereits 49 Mal ins Tor – auch das ist ein Rekord. Durch das Torverhältnis von +9 ist es bis hierhin die stärkste Mainz-Saison aller Zeiten.
Als Bo Svensson im Januar 2021 die Mannschaft übernahm, war nicht abzusehen, wie gut sich Mainz 05 entwickeln würde. Man stand mit sechs Zählern aus 14 Spielen auf dem vorletzten Tabellenplatz, hatte nur ein einziges Spiel gewonnen. Doch bereits im zweiten Duell gegen Dortmund gelang mit einem 1:1 das erste Erfolgserlebnis – und das sollte anhalten. Bereits in der Rückrunde legte Svensson die nun geschlagene Serie von neun unbesiegten Spielen in Folge hin – fünf Siege, vier Remis. Mainz kämpfte sich bis auf Platz zwölf vor.
Unter Svensson sind die Rheinländer so stark wie noch nie. Seine Bundesliga-Siegquote von 40 Prozent übertrifft alle seine Vorgänger – selbst die starken 38 Prozent von Thomas Tuchel lässt Svensson derzeit hinter sich. Weil er zudem auch prozentual mehr Unentschieden holte, hat Svensson logischerweise die stärkste Punkteausbeute von 1,49 Punkten pro Spiel. Thomas Tuchel lag bei 1,41 – Martin Schmidt kam immerhin auf 1,3. Jürgen Klopp, der jedoch zu einer anderen Entwicklungszeit bei Mainz coachte, holte gerade einmal 1,13 Punkte im Durchschnitt.
>>> Schnapp dir die Mainzer Erfolgsspieler im offiziellen Bundesliga Fantasy Manager!
Der Däne ist ein absoluter Glücksgriff für die Mainzer, doch er folgt einem klaren Erfolgskonzept: Der Trainerausbildung im eigenen Verein. Wenn Trainerstellen in der Bundesliga neu besetzt werden, ist immer wieder das Wort "Stallgeruch" zu hören: Svensson spielte sieben Jahre für Mainz, blieb nach seinem Karriereende 2014 bei den Rheinhessen und war seitdem lediglich eineinhalb Jahre in Österreich, um dort seine ersten Erfahrungen als Trainer außerhalb des Jugendbereichs zu sammeln. Er ist ein waschechter Mainzer.
Doch in der Hinrunde lief es nicht ganz so gut – und es ist nicht das erste Mal, dass Mainz unter Svensson in der Rückrunde aufdreht. Im Schnitt erzielen die 05er seit der Winterpause über ein Tor mehr als noch in der Hinrunde (2,3 danach, 1,2 davor). Dies resultiert nicht aus mehr Abschlüssen, sie schießen sogar im Schnitt einmal seltener pro Spiel aufs Tor. Aber die Mainzer spielen sich qualitativ hochwertigere Chancen heraus, haben etwa 0,3 Expected Goals mehr als vor der Winterpause und erarbeiten sich durchschnittlich eine Großchance mehr pro Spiel.
Dasselbe gilt auf der anderen Seite: Sie lassen etwa dieselbe Anzahl Torschüsse pro Spiel zu (zwölf), doch die Chancenqualität ist um 0,3 xG niedriger. Das macht rund eine Großchance pro Spiel weniger und somit kassieren sie etwa ein halbes Tor pro Spiel weniger (1,1 seit der Winterpause, 1,6 in der Hinrunde).
>>>Zehn Spiele ungeschlagen: Der 1. FSV Mainz 05, wie er siegt und lacht
Doch wie wurde das bisherige Rückrunden-Wunder möglich? Es ist das Mainzer Gen: die Zweikampfstärke. Während sie in der Hinrunde exakt 50 Prozent ihrer Duelle gewannen, verbesserte sich der Wert seit der Winterpause auf 51,4 Prozent. Außerdem führen sie deutlich mehr Zweikämpfe: Rund 235 Duelle werden in der Rückrunde pro Spiel geführt – in der Hinrunde waren es noch nur 202. Die Mainzer laufen rund vier Kilometer mehr pro Spiel. Dabei jedoch nicht etwa langsamer, sondern in vollem Eifer: 30 Sprints und 64 intensive Läufe macht Svenssons Mannschaft seit der Winterpause mehr pro Spiel. Es ist der pure Wille, zu gewinnen, der die Mainzer Erfolge hervorbringt.
Ein Spieler, an dem das Rückrunden-Wunder in diesem Jahr festzumachen ist, ist Ludovic Ajorque. Der Winter-Neuzugang der Rheinhessen hatte von Beginn an einen enormen Impact als Vorbereiter – er war zwar nicht direkt an Toren beteiligt, machte aber immer wieder Bälle fest und war als Stoßstürmer ein entscheidender Faktor dafür, dass sich seine Kollegen mehr dem Offensivspiel widmen konnten. 15 Tore erzielte Mainz in den ersten fünf Partien ohne Ajorque-Treffer.
Dann zündete auch der Franzose: In den acht folgenden Spielen sammelte er sechs Treffer, legte zudem einen weiteren auf. Aktuell traf er sogar vier Mal in Serie, obwohl es gegen Topteams wie Leipzig und Bayern ging. Er ist der torgefährlichste Winter-Neuzugang der Bundesliga-Saison. Seit Ajorque da ist, läuft es beim FSV.
>>> Fragen und Antworten – hier geht‘s zum Bundesliga-FAQ
Einer der Profiteure von Ajorques Ankunft war Karim Onisiwo. Der bisherige Stoßstürmer war in der ersten Saisonhälfte viel damit beschäftigt, hohe Bälle festzumachen und lange Bälle zu erlaufen – Aufgaben, die er nun abgeben konnte. Nach vier Treffern in der Hinrunde erzielte er an den ersten zwölf Rückrunden-Spieltagen bereits deren fünf. Und das, obwohl er drei Spiele verletzt verpasste und drei weitere Spiele aus Fitnessgründen nur eingewechselt werden konnte.
Der Österreicher spielt bereits seine achte Saison für Mainz, erzielte in den nicht einmal zweieinhalb Jahren unter Erfolgstrainer Svensson jedoch 17 seiner 31 Bundesliga-Tore für die Rheinhessen – insgesamt zog er damit gleich mit Robin Quaison und ist Mainzer Rekordtorschütze in der Bundesliga. Ein weiterer Treffer in der laufenden Saison würde ihm den alleinigen Titel bringen – fünf Spiele hat er in dieser Saison noch dafür Zeit.
Sehr erfolgreich in der aktuellen Konstellation ist auch Jae-sung Lee. Der Südkoreaner sammelte in vor der Winterpause gerade einmal drei Scorerpunkte (zwei Tore, eine Vorlage). Seit der Ankunft von Ajorque ist seine Leistung komplett explodiert: Fünf Tore und zwei Vorlagen steuerte er bei, besiegte dabei etwa Augsburg mit seinem Doppelpack nahezu im Alleingang. Er ist der absolute Dauerbrenner: Er war bei jedem Mainz-Spiel diese Saison im Einsatz, obwohl er auch bei der Winter-WM agierte.
Nach Onisiwo ist Lee der zweitbeste Scorer der Rheinhessen. In Sachen Torvorlagen kommt ihm nur Anton Stach knapp zuvor. Auch Lees Formanstieg verhilft dem FSV zum Rückrunden-Wunder: Zwar fiel seine Passquote (von 77,5 Prozent auf 68,7 Prozent), jedoch liegt das an riskanteren Pässen – und diese bringen einen größeren Ertrag: Er bereitete drei Großchancen vor (in der Hinrunde null) und legt pro Spiel etwa einen Torschuss auf (zuvor 0,75). Auch Lee selbst kommt häufiger zum Abschluss – im Schnitt ist er alle 26 (statt zuvor alle 34) Minuten an einem Mainzer Torschuss beteiligt.
Leandro Barreiro verkörpert den Umschwung von Zweikampfhärte und Siegeswillen wie kein anderer im Mainzer Team. Natürlich: Wie Bo Svensson ist auch der Luxemburger ein echtes Mainzer Eigengewächs, wechselte bereits 2012 an den Rhein und absolvierte seitdem 106 Bundesliga-Spiele. Dabei lief der Saisonstart für ihn noch wacklig – oft kam er nur von der Bank, am elften und 13. Spieltag kam er gar nicht zum Einsatz. Doch seit der Winterpause ist er Stammspieler, startete in jedem Spiel.
Seine sechs Scorer-Punkte (drei Tore, drei Vorlagen) sind schon jetzt ein persönlicher Saisonrekord – und alle sechs Torbeteiligungen sammelte er seit dem 18. Spieltag. Doch vor allem ist er zweikampfstark: Seit der Winterpause führt er pro Partie sechs Zweikämpfe mehr als zuvor (26 statt 20) und legt sieben Sprints mehr hin (35 statt 28). Damit ist Barreiro die Symbolfigur für den Mainzer Aufschwung.
Die Rheinhessen setzen in allen Belangen auf die eigene Ausbildung. Das beginnt schon auf den obersten Ebenen: Martin Schmidt stand 166 Mal an der Seitenlinie der Mainzer U23, ehe er Trainer der Profis wurde und die drittbeste Punkteausbeute der Vereinsgeschichte sammelte - nun ist er als Sportdirektor maßgeblich für die Kaderzusammenstellung verantwortlich. Trainer Bo Svensson ist Ex-Spieler und durchlief diverse Jugendteams. Doch auch in den Reihen der Spieler finden sich eine Menge Eigengewächse: Mit Robin Zentner, Finn Dahmen und Lasse Rieß kommt das gesamte Torwart-Trio aus dem eigenen Nachwuchs. Mit Barreiro, Stefan Bell und dem aktuell langzeitverletzten Jonathan Burkardt kommen drei weitere Stammspieler aus der Mainzer Akademie.
Doch es stehen auch viele Talente im Profikader: Kaito Mizuta, Eniss Shabani, Brajan Gruda, Marlon Mustapha und Nelson Weiper haben alle eine oder mehrere Jugendmannschaft des FSV durchlaufen - und teilweise sind sie dort noch aktiv. Der erst im März volljährig gewordene Nelson Weiper spielte weite Teile der Saison bei den A-Junioren und erzielte dort acht Tore in acht Spielen - bei den Profis reichten ihm 34 Spielminuten (bei sechs Einwechslungen) für starke zwei Treffer. Kein Wunder, dass die Mainzer U19 sich kürzlich zum stärksten Nachwuchsteam Deutschlands kürte: Im Finale der Bundesliga-Endrunde setzte sich der FSV-Nachwuchs mit 4:2 gegen Dortmund durch. Ohne Tor, dafür aber mit zwei Torvorlagen: Nelson Weiper. Die perspektivische Nachfolge für die Topstürmer Ajorque und Onisiwo ist also bereits geklärt.
Bei Mainz 05 wird auf Eigengewächse und Einsatzwillen gesetzt. Es wird Talent gefördert und gute Arbeit belohnt. Der FSV liefert auf allen Ebenen hervorragend ab und kämpft an den letzten fünf Spieltagen der Bundesliga-Saison absolut zurecht um das europäische Geschäft. Möglicherweise sind dort nächste Saison einige der U19-Meister zu sehen.
Niklas Staiger