So erfindet Wirtz die Zehnerrolle neu

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Kurz vor dem Saisonstart wurde auf der Homepage von Bayer 04 Leverkusen folgende Meldung über Starspieler Florian Wirtz veröffentlicht: "Bayer 04-Profi Florian Wirtz läuft ab sofort mit einer neuen Rückennummer auf. Der 20-Jährige übernimmt auf eigenen Wunsch die Nr. 10, die Kerem Demirbay bis zu seinem Abgang in Richtung Galatasaray Istanbul getragen hatte. Für Wirtz, seit Januar 2020 in Leverkusen, war die Nr. 10 schon immer die Wunsch-Rückennummer."

Die Nummer 10 hat in der Welt des Fußballs Geschichte geschrieben: Pelé, Diego Maradona und Lionel Messi sind nur drei der Legenden, die diese Zahl auf ihrem Trikot getragen haben. Von einem Zehner wird eine gewisse kreative Brillanz erwartet. Der zusätzliche Druck hat Wirtz aber nie aus der Ruhe gebracht.

Er war nicht nur wesentlich am grandiosen Erfolg der "Werkself" in der Bundesliga beteiligt, sondern erzielte auch in der letzten Länderspielpause gegen Frankreich nach nur sieben Sekunden das bis dato schnellste deutsche Tor. Das war allerdings nicht Wirtz' persönlicher Rekord - für die Kölner U19 hatte er bereits nach fünf Sekunden getroffen.

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Im modernen Fußball gibt es kaum noch klassische Spielmacher, doch Wirtz hat die Abwehrreihen sowohl im In- als auch Ausland in Angst und Schrecken versetzt, da er die legendäre Position am Leben hält. Nach seiner Genesung von einer Kreuzbandverletzung im Jahr 2021 hat der 20-Jährige die Stadien in ganz Deutschland zum Staunen gebracht. Aber wie hat er das geschafft?

Seit seinem Bundesliga-Debüt im Jahr 2020 hat sich schnell gezeigt, dass Wirtz technisch begnadet ist. Der Offensivmann verfügt über einen tadellosen ersten Kontakt, der ihm Zeit verschafft, um seine Handlungsoptionen einzuschätzen und die gegnerischen Verteidiger vor ein Dilemma zu stellen: Entweder sie halten in Verteidigungsstellung zunächst Abstand und lassen den Youngster unbedrängt weiterspielen oder sie suchen sofort den Zweikampf und riskieren, düpiert zu werden.

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Wirtz ist ein Meister des Passspiels, seine Zuspiele sind bemerkenswert präzise. Mit einer Erfolgsquote von 89 Prozent bei Pässen zwischen fünf und 15 Metern liegt er in den fünf großen europäischen Ligen auf dem elften Platz und kann damit in einer Reihe von Spielern wie Granit Xhaka, Rodri und William Saliba genannt werden. Spieler also, die bei hohen Ballbesitzquoten keine riskanten Pässe in den Rückraum spielen müssen.

Allein in der Bundesliga hat Wirtz 41 Doppelpässe gespielt - nur Arsenals Martin Ødegaard hat in den fünf höchsten europäischen Spielklassen mehr erfolgreiche Pässe in den Strafraum gespielt. Raumverständnis, Effizienz und Wirkung - Wirtz hat alles.

Wirtz verfügt seit Langem über ein besonderes taktisches Verständnis, stellte dies bereits im Jugendalter unter Beweis. Das zeigte er schon als 14-Jähriger in der U17 und in der U19, die er bei nur vier Einsätzen quasi übersprang, um bei den Profis in der Bundesliga zu spielen. Seine Fähigkeit, sich aus engen Räumen zu befreien, macht ihn schwer kontrollierbar. Wirtz kann jeden im Eins-gegen-Eins überall auf dem Platz schlagen.

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Wirtz ist besonders gut in der Lage, in offensiven Positionen zu analysieren. Sei es, um den Außenverteidiger in einer Viererkette in die Zange zu nehmen oder um Zwei-gegen-Eins-Situationen gegen eine Fünferkette zu schaffen. Wirtz wird bei Bayer 04 oft zwischen den Linien gesucht, um schnell nach vorne durchzubrechen. Er gehört zu den Top 10 in Sachen progressive Ballannahmen in den fünf höchsten europäischen Spielklassen.

Wirtz erkennt schnell, wann er in die Tiefe starten muss, um gegen ein hohes Pressing einen Ausweg zu bieten und wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um den Gegner anzudribbeln oder das Tempo aus dem Spiel zu nehmen.

Auch beim Thema Abschluss ist Wirtz unter den schussstärksten Spielern der fünf besten europäischen Ligen zu finden. Wenn es um Torchancen geht, ist er allein auf weiter Flur. Während seine Abschlussstärke nie in Frage stand - sein allererstes Bundesliga-Tor erzielte er gegen keinen Geringeren als Manuel Neuer - war er in der Vergangenheit vielleicht sogar fast zu uneigennützig.

Doch in dieser Saison hat er als kreativer Kopf in Alonsos Team viel häufiger selbst abgeschlossen (2,59 Schüsse pro 90 Minuten im Vergleich zu 1,75 in seiner gesamten Karriere) und brachte zudem mehr Schüsse aufs Tor (1,43 Torschüsse pro 90 Minuten im Vergleich zu 0,73).

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Auch vor dem Kasten hat er sich als zuverlässig erwiesen: Sechs seiner zehn Großchancen hat Wirtz verwandelt - das entspricht einer Quote von 60 Prozent. Damit steht er in einer Reihe mit Spielern wie Löis Openda (11/24 für 45,5 Prozent) und Deniz Undav (10/18 für 55,5 Prozent).

Die großen Zehner des Fußballs verfügen alle über die bereits genannten Eigenschaften, aber Wirtz' Arbeit abseits des Balles ist eine zusätzliche Fähigkeit, die oft unbemerkt bleibt. Er ist bereit, sich auch ohne das Leder einzubringen - in dieser Saison gehört er zu den Top 10 der Bundesliga, was gewonnene Zweikämpfe und abgefangene Bälle angeht. Wirtz scheut das Pressing keineswegs und ist damit ein äußerst wertvoller Angreifer für die Philosophie von Alonso. Maradona und Messi, um nur zwei Legenden zu nennen, waren Freigeister, die sich auf Kosten ihrer Defensivaufgaben auf die stärksten Bestandteile ihres Spiels konzentrieren durften. Das ist bei Wirtz nicht der Fall.

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Für einen Spieler mit seinen Fähigkeiten ist er auch ein unermüdlicher Läufer - mit durchschnittlich 12,3 Kilometern und 33 Sprints pro Spiel gehört er in beiden Kategorien zu den fünf besten Akteuren der Bundesliga. Hinter dem verschmitzten Grinsen steckt ebenso ein Kämpfer, der bereit ist, die Drecksarbeit zu verrichten. So haben nur Heidenheims Tim Kleindienst und Bochums Bernardo mehr Zweikämpfe bestritten, während Wirtz bezogen auf die gewonnenen Zweikämpfen am Boden an der Spitze steht. Es überrascht nicht, dass er oft ins Visier des Gegners gerät, aber er ist in der Lage, Tacklings zu meistern und ist keiner, der leicht zu Boden geht.

Wie alle führenden Spieler mit der Nummer 10 hat Wirtz ein Händchen dafür, den richtigen Moment zu nutzen. Das hat er bei zahlreichen Gelegenheiten getan, um traumhafte Aktionen zu vollbringen. Wir haben ihn schon so oft im Leverkusener Trikot gesehen - sein Hattrick zum Titelgewinn war nur der Höhepunkt der letzten Monate - und sein Treffer gegen Frankreich war sicherlich der erste von vielen für die DFB-Elf.

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Mit Jamal Musiala hat Wirtz einen starken Konkurrenten für die Rolle in Julian Nagelsmanns Team für die EM 2024. Im Tandem können die beiden hochveranlagten Bundesliga-Profis aber auch brillieren. Das haben die vergangenen Länderspiele verdeutlicht. Für die deutschen Fans ist das eine erfreuliche Aussicht, für die anderen ein Albtraum.