Bundesliga
Nach drei Jahren und 92 Einsätzen in der Bundesliga verlässt Publikumsliebling und Leistungsträger Jude Bellingham Borussia Dortmund. Beim BVB ist der englische Nationalspieler zu einem Führungsspieler gereift, dessen fußballerische Klasse und Mentalität fehlen wird.
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Läuft es bei einem Verein mal nicht so rund wie gewünscht, wird im Profifußball schnell die Mentalitätskeule geschwungen: "Der Mannschaft fehlen Typen, einer, der mal das Wort ergreift, auf den Tisch haut oder mal dazwischen grätscht." Stammtischparolen, mit denen sich auch Borussia Dortmund in den vergangenen Jahren gelegentlich konfrontiert sah. In der Regel werden damit ältere und erfahrenere Spieler in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt. An einem BVB-Spieler ließen sich derlei Kritikpunkte in den letzten drei Jahren nicht festmachen: Jude Bellingham.
Der am 29. Juni 2003 in Stourbridge bei Birmingham geborene Bellingham hat bei der Borussia eine atemberaubende Entwicklung hingelegt. Ein Spieler, dem eine außergewöhnliche Mentalität offenbar in die Wiege gelegt wurde. Benötigte der BVB ein Tor in den Schlussminuten, war er einer derjenigen, der die Südtribüne noch mal anheizte oder die Zuschauer mit einer grandiosen Einzelleistung von den Sitzen riss. Trotz seiner erst 19 Jahre hat Bellingham Borussia Dortmund sowohl sportlich als auch mental bereichert.
Seine Frühreife ist angesichts der bisherigen Laufbahn nicht allzu verwunderlich: Bereits mit 16 absolvierte Bellingham in der zweiten englischen Liga sein erstes Pflichtspiel für die Profis seines Heimatclubs Birmingham City und avancierte dort auf Anhieb zum Stammspieler. Im Sommer 2020 zog es den damals 17-jährigen und allseits umworbenen Bellingham ins Ruhrgebiet zu Borussia Dortmund. Eingewöhnungszeit benötigte der Youngster auch dort keine: Bellingham wurde in seinem ersten Jahr in Deutschland Stammspieler, DFB-Pokalsieger, englischer Nationalspieler und Vize-Europameister. Sein Pflichtspiel-Debüt feierte Bellingham am 14. September 2020 im DFB-Pokal-Auswärtsspiel beim MSV Duisburg (5:0). Dort sollte dem Engländer auch das erste Pflichtspiel-Tor im Dress der Borussia gelingen. Nur fünf Tage später debütierte der Nationalspieler dann in der Bundesliga, beim 3:0 gegen Mönchengladbach.
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"Ich war sehr optimistisch, was meine fußballerische Entwicklung betrifft. Ich hätte mir allerdings nie vorstellen können, wie es dann gelaufen ist: Die Auszeichnungen, die Rekorde, die Vertrags-Unterzeichnung bei einem der größten Vereine in Europa, die ersten Spiele in der Nationalmannschaft und in der Champions League. Rückblickend scheint es unglaublich, dass mir all diese Dinge passiert sind, aber ich habe sehr hart dafür gearbeitet, dies zu verwirklichen", teilte Bellingham gegenüber den BVB-Clubmedien einmal mit.
Bellingham war in den vergangenen drei Jahren einer der, wenn nicht der herausragende Spieler Dortmunds. Er war er unter anderem daran maßgeblich beteiligt, dass der BVB in diesem Jahr die Deutsche Meisterschaft an den Borsigplatz holte. "Ich würde es mehr als alles andere lieben, die Bundesliga zu gewinnen, nach allem, was der Klub mir gegeben hat", träumte Bellingham im Saisonendspurt noch von der Schale. Es lag auch an dem 19-Jährigen und seinem großen Ehrgeiz, dass die Borussia nach einer Achterbahn-Saison den großen Coup landen konnte.
Es lässt sich an der Hand abzählen, wann der Mittelfeldmotor Bellingham in seinen insgesamt 92 Bundesliga-Partien mal nicht seine große Klasse darlegen konnte. "Er hat alles: ohne Ball, beim Pressing, mit Ball. Er rennt, er spielt Pässe - und ist wichtig, wenn es um Tore geht. Er ist sehr reif für sein Alter", adelte ihn einst Three-Lions-Teamkollege Harry Kane. Bellingham ist in seinen ersten Profi-Jahren bereits zu einem kompletten Spieler gewachsen, der Passstärke, Zweikampfhärte, Aggressivität, Laufbereitschaft, Kreativität und Torgefahr vereint. Zwölf Bundesliga-Tore und 15 Tor-Vorlagen hat Bellingham in seiner Zeit beim BVB beigesteuert.
Kein Wunder, dass Bellingham, der als emotionaler Leader und Lautsprecher gilt, den BVB sogar schon als Kapitän aufs Feld führen durfte. Im Vorfeld der abgelaufenen Saison 2022/23 berief ihn Trainer Edin Terzic zum dritten Kapitän hinter Reus und Hummels. Unter anderem beim Champions-League-Achtelfinal-Hinspiel dieser Saison durfte Bellingham beim 1:0-Heimsieg gegen den FC Chelsea die Binde tragen. "Das ist wahrscheinlich die größte Ehre in meiner Karriere bislang: Kapitän dieses Fußballclubs zu sein", zeigte sich der Youngster nach der Partie bei "CBS Sports" stolz. Für das Rückspiel kündigte Bellingham damals an: "Wir müssen alle Kapitäne sein." Eine Aussage, die die eigenverantwortliche Denkweise des Mittelfeldspielers einmal mehr verdeutlicht.
Der bevorstehende Abschied Bellinghams Richtung Real Madrid dürfte im Team von Borussia Dortmund zumindest kurzfristig eine Lücke reißen. So selbstverständlich er seine fußballerische Exzellenz konstant darbot, ist es vor allem die Präsenz und Einstellung, mit der der 19-Jährige, der sich in Sachen Führungsstil von seinen "Vorbildern" Hummels und Reus einiges abschaute, Maßstäbe für zukünftige BVB-Youngster gesetzt hat. Der Dortmunder Publikumsliebling hat bewiesen, dass Mentalität keine Frage des Alters oder der Erfahrung ist.