Bundesliga
"Der letzte seiner Art" beendet die Karriere: In Claudio Pizarro verliert die Bundesliga den letzten aktiven Profi, dessen Debüt aus dem alten Jahrtausend datiert. Der Peruaner schnürte in Deutschland seine Schuhe für den FC Bayern München, den 1. FC Köln und unterschrieb gleich vier Mal einen Vertrag beim SV Werder Bremen. Nach der Rettung in der Relegation gegen den 1. FC Heidenheim macht der 41 Jahre alte Angreifer nun Schluss. bundesliga.de blickt auf eine außergewöhnliche Karriere zurück.
Für Pep Guardiola, den viele nach wie vor für den besten Trainer der Welt halten, gehören Pressekonferenzen eher zu den lästigeren Pflichten eines Fußballlehrers. Doch Ende Juni, wenige Tage vor dem Duell seiner "Skyblues" von Manchester City gegen den FC Burnley, kam der Katalane vor den Medien aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus: "Er ist einer der besten Stürmer, die ich je gesehen habe! Ich hätte ihn gerne getroffen, als er 24, 25 oder 26 Jahre alt war."
Der 49-Jährige, zwischen 2013 und 2016 Trainer des FC Bayern München, schwärmte über einen seiner ehemaligen Schützlinge aus seiner Zeit in der Bundesliga: Claudio Pizarro. Als Guardiola nach Deutschland kam, um mit den Bayern die Bundesliga zu dominieren, war Pizarro bereits der älteste Spieler im Kader des FCB. Unter dem katalanischen Coach gelangen dem damals 34 Jahre alten "Andenbomber" beim legendären 9:2 gegen den Hamburger SV vier Treffer.
Nun, im Alter von 41 Jahren, beendet der Methusalem der Bundesliga, seine - wie es "Pep" ausdrückt - "einzigartige Karriere." 490 Spiele bestritt der Peruaner in der Bundesliga. Der für seine brillante Ballbehandlung bekannte Budenzauberer erzielte 197 Treffer und liegt damit hinter Gerd Müller, Klaus Fischer, Robert Lewandowski, Jupp Heynckes und Manfred Burgsmüller auf Platz sechs der ewigen Torschützenliste der Bundesliga.
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Seinen ersten Treffer in der Bundesliga erzielte der Peruaner für den SV Werder Bremen: Am 12. September 1999 markierte der Stürmer beim 5:0-Sieg Bremens gegen den 1. FC Kaiserslautern das 1:0 per Kopf. 21 Kalenderjahre in Folge traf "Pizza" in der Bundesliga - Rekord. Doch das ist nur einer der zahlreichen Bestmarken des Peruaners. Der passionierte Rennpferd-Züchter wurde in der Bundesliga am häufigsten eingewechselt: 169 Mal, seine dabei erzielten Joker-Tore (21) werden nur von Nils Petersen (25) übertroffen.
Zudem ist Pizarro der einzige Spieler in der Bundesliga-Geschichte, der für zwei Vereine mehr als 80 Treffer erzielte: 87 für den FC Bayern und 109 für Werder - damit ist er auch der Top-Torschütze des SVW. Pizarro war das, was Experten gerne einen "kompletten Stürmer" nennen: Der Angreifer mit einem Faible für die Rückennummern 14 und 24 war nicht der klassische Strafraumstürmer, der nur im Sechzehner auf gefährliche Anspiele lauerte, sondern bot sich immer wieder in den Räumen zwischen Mittelfeld und Abwehr des Gegners an, nahm aktiv Einfluss auf das Spielgeschehen.
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Aufgrund seiner technischen Fähigkeiten konnte der Peruaner Anspiele unter höchstem Raum-, Zeit- und Gegnerdruck exzellent verarbeiten, sich im offensiven Eins-gegen-eins durchsetzen oder dank seiner Übersicht gegnerische Abwehrreihen mit Steckpässen in die Tiefe aushebeln. 705 Torschüssen legte Pizarro so auf, zu 84 Treffern lieferte der "Pizza-Service" die Assists. 76,9 Prozent seiner Pässe brachte der Familienmensch, der 1999 seine Jugendliebe Karla Salcedo heiratete, an den Mann - für einen Stürmer, der sich stets auf engstem Terrain bewegen muss, durchaus bemerkenswert.
Der Angreifer, der in Surco, einem Vorort der peruanischen Hauptstadt Lima, aufgewachsen ist, war ein äußerst vielseitiger Vollstrecker: 48 Tore erzielte er per Kopf, 107 Treffer markierte er mit rechts und 39 Mal netzte er mit seinem linken Fuß ein. So auch beim 4:1-Sieg Werders bei Borussia Mönchengladbach, als der Peruaner mit einem Linksschuss sein 134. Bundesliga-Tor erzielte und zum ausländischen Rekordtorschützen der Bundesliga wurde - er übertrumpfte einen alten Teamkameraden: "Ich bin stolz und glücklich, dass ich Giovane Elber überholt habe. Das bedeutet mir sehr viel für mich und meine Familie", sagte Pizarro damals, der daraufhin - wie er selbst erzählt hat - zusammen mit seinen Kindern Antonella, Claudio und Gianluca eine DVD mit allen 134 Treffern anschaute: "Sie haben jedes einzelne Tor bejubelt."
Mittlerweile ist allerdings Robert Lewandowski der erfolgreichste ausländische Torschütze der Bundesliga. Pizarro wurde sechs Mal Deutscher Meister (alle Titel mit Bayern) und sicherte sechs Mal den DFB-Pokal (fünf Mal mit Bayern, ein Mal mit Bremen). 2012/13 gelang ihm mit dem FCB das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League - er war der erste Peruaner, der sich den Henkelpott schnappen konnte. Der Stürmer, der in der Saison 2007/08 in der Premier League beim FC Chelsea spielte, traf 35 Mal mindestens doppelt in einem Bundesliga-Spiel. Letztmals gelang "Pizza" dies im März 2016, als er gegen den VfL Wolfsburg zum ältesten Dreierpacker der Bundesliga-Geschichte wurde.
Die Laufbahn des Goalgetters liest sich wie ein reiner Superlativ, doch der 41 Jahre alte Angreifer erlebte auch einige Tiefs: 2018 stieg er mit dem 1. FC Köln aus der Bundesliga ab. Mit Bremen landete er in der gerade abgelaufenen Saison in der Relegation - trotz insgesamt 695 Pflichtspielen in Europa eine Premiere für den Oldie. Dank eines 2:2 im Rückspiel beim 1. FC Heidenheim stieg Pizarro nicht ein zweites Mal in die 2. Bundesliga ab. Seine Mitspieler ließen ihn direkt nach Abpfiff im Relegations-Rückspiel hochleben.
Wie wird es für den Peruaner weitergehen? "Ich habe schon einmal von den Leuten des FC Bayern gehört, dass sie gerne wollen, dass ich dort etwas mache." Ein Job als internationaler Markenbotschafter des FCB sei für ihn "sehr interessant."
Doch nun beendet Claudio Pizarro erst einmal seine einzigartige Karriere als Profi-Fußballer. Über 21 Jahre lang verzückte der Peruaner Fans auf der ganzen Welt mit seiner überragenden Technik, seinem genialen Spielverständnis sowie seinem unnachahmlichen Torriecher. Pep Guardiola übertrieb mitnichten, als er Pizarro als einen der besten seines Fachs betitelte. Und auch mit folgendem Ritterschlag liegt der Katalane vollkommen richtig: "Der Fußball verdient Menschen wie Claudio."
Patrick Dirrigl