EURO 2024
"Völlig losgelöst” ist der Hit des deutschen EM-Sommers. Und in der 92. Minute schien beim Spiel der DFB-Elf gegen die Schweiz in Frankfurt tatsächlich die Schwerkraft für einen Moment aufgehoben. Eine gefühlte Ewigkeit stand Niclas Füllkrug im Sechzehner der Eidgenossen in der Luft, bevor er den Ball mit ganz viel Gefühl mit dem Kopf in den linken Torwinkel beförderte. Es folgte eine Gefühlsexplosion in den Fanzonen, auf den Rängen und auf dem Feld, die die deutsche Mannschaft weit durch das Turnier tragen könnte.
Viele fühlten sich an DEN Sommermärchen-Moment 2006 erinnert, als Oliver Neuville gegen Polen eine Odonkor-Flanke in der Nachspielzeit über die Linie drückte und ein Jubelschrei durchs ganze Land hallte. Ob nun auch eine ähnliche Euphorie entfacht worden ist, wird sich noch zeigen, aber Niclas Füllkrug bewies in der Nachspielzeit gegen die Schweiz mal wieder seinen enormen Wert für die Nationalmannschaft. Ohne Zweifel ist er der beste Kopfballspieler im Kader und hat das Gütesiegel “Kopfballmonster” sogar als Alleinstellungsmerkmal unter allen Offensivkräften.
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Dabei bewies er beim 1:1 gegen die “Eidgenossen”, dass ein Monster manchmal auch schlau und dosiert abschließen muss. Die Flanke vom ebenfalls eingewechselten David Raum kam mit solch einem Zug in die Mitte, dass Füllkrug auf eine aktive Kopfballbewegung verzichtete, sondern im Gegenteil sogar "noch etwas Tempo aus dem Ball nehmen" musste, wie er anschließend erklärte. In dieser Situation bewies der BVB-Stürmer, dass er in der Stirn mehr Gefühl hat, als andere Spieler im Fuß haben. "Das war ein tolles Tor, das war nicht ganz so einfach", lobte Nagelsmann den Torschützen nach der Partie.
Der Bundestrainer gestand aber auch das Dilemma ein, in das sich Füllkrug mit seinen starken Leistungen als Einwechselspieler hineinmanövriert hat. "Er liefert Argumente für beide Sachen, als Joker weiter zu fungieren, weil er es super macht oder eben auch mal von Beginn an", so der DFB-Coach angesprochen auf eine mögliche Startelfnominierung für das Achtelfinale und ergänzt: "Das ist Freud und Leid für ihn zugleich, dass er die Rolle gut erfüllt."
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Die Jokerrolle füllt Füllkrug sogar historisch gut aus. Bei seinen sechs Einwechslungen bei der WM in Katar und nun bei der EM in Deutschland erzielte der 31-Jährige vier Treffer. Damit ist er schon jetzt der europäische Spieler mit den meisten Jokertoren bei großen Turnieren.
Nur bei sechs seiner bislang 19 Länderspiele stand der gebürtige Hannoveraner in der Startformation. Umso bemerkenswerter sind die 13 Treffer, die er für Deutschland bislang erzielt hat. Unter allen Nationalspielern mit mindestens 15 Länderspielen nach dem zweiten Weltkrieg übertreffen lediglich der legendäre Gerd Müller (1,10 Tore pro Einsatz), Max Morlock (0,81) und Klaus Fischer (0,71) Füllkrugs Quote von 0,68 Toren pro Länderspieleinsatz.
Dieser Fakt wäre beeindruckend genug, aber wenn man die Tore des hochgewachsenen Dortmunders in Relation zur Einsatzzeit nimmt, stellt Füllkrug sogar den “Bomber der Nation” Gerd Müller in den Schatten. Alle 81 Minuten versenkte dieser die Kugel im Nationaldress im gegnerischen Kasten. Eine fantastische Quote - die Super-Joker Füllkrug aber locker toppt: Der wuchtige Neuner ließ es bislang für Deutschland alle 58 Minuten klingeln. Er ist somit der effizienteste DFB-Stürmer der Nachkriegsgeschichte!
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Im Achtelfinale darf Füllkrug nun im heimischen Stadion in Dortmund antreten. Unklar ist nur seine Rolle. Nagelsmann wird sich vermutlich nicht in die Karten schauen lassen - auch weil Füllkrugs Profil sich so stark von dem eines Kai Havertz unterscheidet. Sicher ist nur: die Zeit des Stürmers wird auch nächsten Samstag wieder kommen, denn mindestens eine Einwechslung ist nach den bisherigen Auftritten eigentlich garantiert. Und vielleicht gibt es auch wieder diesen einen Moment, in dem "Fülle" völlig losgelöst ist.
Florian Reinecke