60 Jahre Bundesliga
Keiner stand in der 60-jährigen Geschichte der Bundesliga häufiger auf dem Rasen: Karl-Heinz Körbel. "Charly", so wie ihn alle bei Eintracht Frankfurt nannten, absolvierte sagenhafte 602 Bundesligaspiele.
Zarte 17 Jahre war Karl-Heinz Körbel alt, als er für Eintracht Frankfurt, seinen Club, sein Bundesliga-Debüt feierte: Am 14. Oktober 1972 ging es in seinem ersten Spiel gleich gegen den FC Bayern München und den Top-Stürmer Gerd Müller. Die SGE konnte die Partie damals mit 2:1 für sich entscheiden. Das letzte Spiel absolvierte "Charly" am 8. Juni 1991: Gegen den FC St. Pauli gab es im Millerntorstadion ein 1:1. Der 36 Jahre alte Defensiv-Spezialist, bekannt für seine aggressive Spielweise, brachte sich bei diesem Remis um einen gebürtigen Abschied in Frankfurt: Wegen einer Gelben Karte, seiner vierten in der Saison, wurde er für den 34. und letzten Spieltag gesperrt. "Ich war sauer wie nie zuvor, sauer, sauer, sauer", sagt Körbel in der Rückschau.
War es für Körbel ein "Allerweltsfoul", so sagte der damalige Schiedsrichter Michael Prengel, dass er für das Einsteigen "nach heutigen Maßstäben oder Anweisungen Rot hätte zeigen müssen." 52 Gelbe Karten sammelte Körbel in seiner Bundesliga-Karriere. Eine Rote Karte war jedoch nie dabei. So kam es, dass Körbel am 34. Spieltag der Saison 1990/91 im Frankfurter Waldstadion nur zusehen durfte, als die SGE mit einem 4:0 gegen den VfB Stuttgart den Einzug in den UEFA-Pokal klarmachte.
Vor zehn Jahren, als die Bundesliga 50 Jahre alt wurde, brachte die ARD Körbel und Schiedsrichter Prengel nochmals zusammen, die beiden sahen sich die Szene nochmals an: "Im Nachhinein muss ich sagen: Das war knallrot", sagte Körbel ganz einsichtig. Wie er es schaffen konnte, 19 Jahre für einen einzigen Verein zu spielen und dabei auf sagenhafte 602 Bundesliga-Spiele zu kommen, kann der heute 68 Jahre alte gebürtige Dossenheimer selbst nicht so recht beantworten.
In 17 seiner 19 Bundesliga-Spielzeiten absolvierte der Verteidiger mindestens 30 Spiele. Durchaus außergewöhnlich für eine Zeit, in der es auch mal härter auf dem Platz zuging: Verletzt war Körbel eigentlich nie. Selbst im hohen Alter kickt Körbel noch regelmäßig: Beispielsweise beim Benefizspiel "Champions for Charity", das von Basketball-Legende Dirk Nowitzki organisiert wird. Das Spiel ist zu Ehren von Rennfahrer Michael Schumacher, der selbst leidenschaftlich gegen den Ball trat und jährlich Benefizspiele organisierte. Meist spielte dort eine Auswahl an Formel-1-Piloten gegen ehemalige Profi-Fußballer.
2016 belebte Nowitzki das Spiel für einen guten Zweck wieder. Im Mainzer Stadion kickte der NBA-Champion von 2011 mit ehemaligen Profi-Fußballern und weiteren Sport-Promis gegen eine Piloten-Auswahl, angeführt von Michael Schumachers Sohn Nick. In besagtem Spiel wurde, wie es bei Benefizspielen üblich ist, zahlreich und munter durchgewechselt. Ein Spieler stand aber die gesamten 90 Minuten auf dem Feld: "Charly" Körbel. "Ich habe keine Ahnung wie der das in dem Alter durchalten kann. Ich war nach meinem ersten Sprint schon vollkommen platt", sagte "Dirkules" nach dem Spiel, als er zu "Pferdelunge" Körbel befragt wurde.
2017, 2019, und 2022 holte der "Große Blonde" Körbel wieder in seine Teams. In den Benefizspielen ging es die Eintracht-Legende aber nicht mehr ganz so hart an wie noch zu seinen Zeiten als Profi. Seine Gegenspieler kann er aber auch noch im fortgeschrittenen Alter kaltstellen.
So wie es Körbel bei seinem Bundesliga-Debüt gegen den "Bomber der Nation" gelang: "Gegen Gerd Müller darfst du keinen Körperkontakt haben. Der hat immer wieder versucht, dich zu klammern. Aber mich konnte er nicht klammern: Das hat ihn verrückt gemacht", erzählt Körbel von seinem ersten Bundesligaspiel, das er gleich gegen den "Welttorjäger" bestreiten durfte. "Er hat immer versucht sich in mich zu drehen, aber ich war gar nicht da: Ich habe immer einen Meter Abstand gehalten und die Bälle abgelaufen. So habe ich ihn ein bisschen aus der Fassung gebracht."
"Das war für mich ein Einstieg, der einzigartig für meine Karriere war", ist sich Körbel sicher. Mit der SGE gewann der Abwehrspieler vier Mal den DFB-Pokal, zudem 1980 auch den UEFA-Cup. Außerdem schaffte es der "treue Charly" auch in die Nationalmannschaft: Zwischen der WM 1974 und der EM 1976 absolvierte Körbel sechs Spiele für die DFB-Auswahl. Trotz seiner Stärken in der Abwehr war Körbel aber auch torgefährlich: 45 Bundesliga-Tore, zehn davon in der Saison 1974/75, gelangen dem Wahl-Hessen.
Der letzte Spieler, der in den vergangenen Jahrzehnten noch ziemlich nahe an die 602-Bundesligaspiele Körbels herankommen konnte, war Oliver Kahn: Der ehemalige Keeper der Bayern, der 2008 seine Karriere beendete, schaffte es auf 557 Einsätze und damit die drittmeisten hinter Manfred Kaltz (581) und Körbel. Der aktive Spieler mit den derzeit meisten Bundesliga-Spielen ist Manuel Neuer: Der FCB-Keeper kommt aktuell auf 478 Spiele für Schalke und die Bayern. Es bleibt spannend, ob der 37 Jahre alte Schlussmann die noch 124 fehlenden Spiele zu Körbel wird aufschließen können.
"Ich glaube nicht, dass ein Spieler diese Marke noch einmal erreicht, schon gar nicht bei einem einzigen Verein", denkt Körbel, der weiterhin als Berater für den Vorstand von Eintracht Frankfurt und als Leiter der Fußballschule der SGE agiert. Auch beim Europa-League-Triumph der SGE gegen die Glasgow Rangers hatte Körbel seine Finger im Spiel: "Es stand 0:1. Und ein Schotte schießt den Ball in hohem Bogen auf die Tribüne – genau zu mir. Ich habe ihn gefangen und in meinen Händen. Als um mich herum alle aufspringen, unser Vorstand Axel Hellmann grinst und ruft: 'Charly, hat den Ball, jetzt kippt das Spiel!'" Und es kippte. Nach der Partie sagte sich Körbel: "Meine Mission Europacup ist beendet." Bei seinem Club, der Eintracht. Nach knapp 52 Jahren bei der SGE: Körbel gehört ein großes Stück Bundesliga-Geschichte.
Patrick Dirrigl