Bundesliga

"Ich bin einer, der nach vorne lebt"

Loading video

Thomas Müller verlässt zum Saisonende den FC Bayern München – nach 25 Jahren im Verein. Der Weltmeister von 2014 spricht im Interview mit bundesliga.de über seine bewegte Zeit beim Rekordmeister und verrät, warum es in dieser Saison voraussichtlich zu seiner 13. Deutschen Meisterschaft kommen wird.

bundesliga.de: Thomas, die 500 – eine nackte Zahl. Ihr Fußballer seid ja nicht so wahnsinnig zahlen-verliebt. Trotzdem: Ist es nur eine Zahl für dich – oder doch auch ein Stück Beweis einer Lebensleistung?

Thomas Müller: Beides. Es ist eine Zahl. Und natürlich Geschichte. Rückblicke. Und am Ende viele schöne Erlebnisse. Natürlich. Gerade wenn du bei Bayern spielst, hast auch viele Siege mit dabei. Und dementsprechend schaue ich gerne zurück.

bundesliga.de: Wir schauen mal auf die aktuelle Saison zurück. Was ist das für ein Jahr? Es gab überragende Spielzeiten, es gab wenige enttäuschende in deiner Zeit und wie würdest du diese jetzt rein sportlich einordnen?

Müller: Ich denke, dass es eine Aufbruchsaison in die richtige Richtung ist. Man muss ja schon sagen, wir kamen und kommen ja aus verschiedensten Übergangszeiten, vom Gefühl her. So richtig hat seit Pep Guardiola ja keine Trainer-Kader-Mischung so richtig nachhaltig zusammengepasst.

"Das, was die Fans bei Bayern sehen wollen"

Müller: Klar, man muss schon festhalten: Mit Hansi Flick hatten wir ja sehr erfolgreiche Zeiten. Da hat es aber dann eher vielleicht auch zwischen Trainer und Vereinsverantwortlichen so ein bisschen gekriselt. Also so dieses dieses ganz harmonische Bild, das wir auch in dieser Saison schon wieder gesehen haben, war nicht da. Diese Einheit aus Mannschaft, Trainer und Verein. Das war schon ein Schritt in diese Richtung, auch bewusst getätigt vom Verein.

Ich denke, dass auch die Spielweise in dieser Saison schon wieder mehr dem entsprochen hat, was die Verantwortlichen und auch die Fans bei Bayern sehen wollen: einfach offensiven Fußball, aktiven Fußball. Das heißt nicht, dass das alles immer erfolgreicher ist. 

Also man darf auch den Erfolg unter Thomas Tuchel im letzten Jahr, gerade in der Champions League, nicht unterschätzen. Wir sind wahrscheinlich auch nur nicht Meister geworden, weil eben Leverkusen eine historisch gute Saison gespielt hat. Und dementsprechend weiß ich das schon einzuordnen. Und trotzdem glaube ich, für den Verein und auch für den Kader ist das derzeit eine gute Saison.

15. August 2008: Thomas Müller kommt für Miroslav Klose und absolviert beim HSV sein erstes Bundesligaspiel
15. August 2008: Thomas Müller kommt für Miroslav Klose und absolviert beim HSV sein erstes Bundesligaspiel

"Kabinen verlierst du als Trainer, wenn du nicht erfolgreich bist"

bundesliga.de: Was wir alle immer gerne machen würden: Einen Blick hinter die Kulissen, in die Kabine werfen. Es gibt ein Sprichwort zu Trainern: "Er hat die Kabine verloren." Wie liest man so eine Stimmung in der Kabine?

Müller: Kabinen verlierst du meist dann, wenn es nicht erfolgreich läuft. Also ich habe noch nie davon gehört, dass du Kabinen verlierst und du rasierst aber jedes Wochenende komplett den Gegner. Dementsprechend kann man das so einzeln aus meiner Sicht nicht betrachten. Und selbst wenn ich da jetzt ein Gefühl dafür hätte, dann würde ich das nicht preisgeben. Schaut mir in die Augen und versucht's zu lesen (lacht).

bundesliga.de: Wie muss der FC Bayern spielen, damit es dich persönlich glücklich macht?

Müller: Wir wollen aktiven Fußball spielen. Wir wollen offensiven Fußball spielen. Wir stehen auch auf dem Platz, um Tore zu machen, Tore zu erzielen.

"Wir sind widerstandsfähig"

Müller: Natürlich auch in dieser Saison, gerade in der Champions League, haben wir zu viele Spiele verloren. Ob jetzt in dieser neu gespielten Ligaphase oder gerade auch vor kurzem natürlich das sehr, sehr schmerzhafte 1:2 im Hinspiel gegen Inter Mailand, was uns am Ende des Tages dann auch das Ausscheiden beschert hat.

Und trotzdem sieht man in den Spielen schon eben diesen diesen Ansatz. Wir sind auch nach Rückständen widerstandsfähig. Ich erinnere mich an eine Phase, ich glaube, sogar in der Saison unter Thomas Tuchel, so die letzten drei, vier Wochen, in der wir es noch geschafft haben, in diesem wahnsinnigen letzten Spieltag mit Jamals Tor da noch Meister zu werden. Als Dortmund zu Hause kollabiert ist.

In den letzten Jahren sind wir nach einem Rückstand oft weggebrochen, oder nach einem Gegentor. Und diese Saison könnte ich mich kaum dran erinnern, dass sich das dann so angefühlt hat. Sondern wir sind immer wieder in der Lage gewesen, auch zurückzuschlagen. 

Teuflisch gutes Trio: Franck Ribéry, Arjen Robben und Thomas Müller

"Bayern hat sich zu einem Contender in der Champions League entwickelt"

bundesliga.de: Wir haben dieses Jahr das 125-jährige Jubiläum des FC Bayern München. Als Kind, als Jugendspieler, jetzt als Legende des Vereins: Wie nimmt man so ein Jubiläum wahr? Platzt man ein bisschen vor Stolz, wenn man ja ganz bewusst an seinen Verein denkt?

Müller: So empfinde ich es gar nicht, weil, wenn ich wirklich mal mathematisch aufschlüssle, dann war ich gerade einmal ein Fünftel der Geschichte im Verein. Natürlich waren gerade die letzten 15 Jahre extrem einprägsam, ja, mit vielen interessanten Entwicklungen im Verein.

Allein wenn man sich die Firma FC Bayern anschaut, die Entwicklung des Weltfußballs, das Interesse auch international an der Bundesliga, am FC Bayern und dann eben auch die Entwicklung zu einem Contender um die Champions League. Bayern war immer irgendwie gefährlich, aber so richtig zu den Favoriten haben wir eigentlich nie gezählt. Sagen wir mal bis 2010.

Loading video

"Es war eine extrem aufregende Phase"

Müller: Aber mit van Gaal, diese wirkliche Prägung einer Ära durch Schweinsteiger, Lahm, Robben, Ribéry, durch die Veränderung auch der Spielweise, nicht nur gute Spieler zu verpflichten, sondern auch ein bisschen eine andere Spielkultur, die Louis van Gaal hier mit reingebracht hat. Da ging's los. Dann sind wir natürlich mit Jupp Heynckes extrem erfolgreich gewesen.

Wir haben die Champions League geholt und das Triple 2013. Und dann sogar eben mit Pep Guardiola ein Trainer, der drei Jahre da war. Der natürlich auch den den deutschen Fußball und die Bundesliga und auch den Verein damals schon geprägt hat. Und uns in diesen sechs, sieben Jahren haben wir uns schon in der europäischen Elite dann etabliert. Das muss man schon sagen.

Und die Phase war einfach extrem aufregend für mich als Spieler. Ich bin ja einer, der so nach vorne lebt, als Zuseher. Zurückschauen ist schön und dann kann man auch wieder anstoßen und fragen: Und was machst du morgen?

Die "Super-Bayern" 2013: Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger und Jupp Heynckes feiern das erste Triple der Vereinsgeschichte

"Es ist Spektakel an der Säbener Straße"

bundesliga.de: Wie siehst du die Entwicklung in der medialen Wahrnehmung vom FC Bayern – vom "FC Hollywood" hin zum weltweiten Phänomen?

Müller: Ja, ich denke schon, dass wir eine enorme Anziehungskraft haben. Ich kann selbst ja noch als Fan nachempfinden: Damals hatte es der Verein deutlich schwieriger, Aufmerksamkeit weltweit zu generieren. Auch die Fans hatten es deutlich schwieriger, näher ranzukommen. Heute durch die Entwicklung mit Social Media und durch die Vernetzung: Die Kommunikationswege sind kürzer, schneller geworden. 

Die Fans sind nicht nur regional, sondern auch international noch näher an uns dran. Und dementsprechend ist diese Faszination für den FC Bayern natürlich vervielfältigt worden. Und es wird immer rasanter. Und ich glaube auch zu Recht, wenn man sieht, welche Spieler hier spielen. Es ist weiterhin Spektakel an der Säbener Straße. Das bewegt die Menschen und ich kann es gut nachempfinden. Und ich find's gut.

Früher Teamkollegen, jetzt Kontrahenten, sich auch in Zukunft wertschätzend: die Weltmeister Xabi Alonso und Thomas Müller

"Bei Bayern kriegst du Unterhaltung, Entspannung, Emotion"

Müller: Der Auftrag eines Bayern-Spielers ist aus meiner Sicht nicht nur, dass er Tore schießt. Nicht nur, dass er verteidigt, sondern wir sind auch dazu da, dass es den Menschen außerhalb ihrer Arbeit und ihren täglichen Themen, die sie zu bewerkstelligen haben, dass es ihnen einfach gut geht, dass sie eine gute Zeit haben. Wenn du an den FC Bayern denkst, dann willst du einfach Unterhaltung, Entspannung, Emotion. Und ich glaube, einiges davon kriegt man auch.

bundesliga.de: Was war entscheidend, dass ihr das Duell mit Leverkusen in dieser Saison wohl für euch entschieden habt? Und gerade wenn man so daran denkt, dass deinem Ex-Mitspieler Xabi Alonso strategisch immer wieder etwas gegen euch eingefallen ist.

Müller: Wir waren in dieser Saison insgesamt besser gegen die "kleinen Teams". Da musst du einfach die Punkte sammeln. Wir haben diese Gegner dieses Jahr deutlich besser dominiert als jetzt im Vergleich zur vergangenen Saison.

Loading video

Last-Minute-Leverkusen: "Da wirst du wahnsinnig vorm Fernseher"!

Müller: Ich glaube, die Hinrunde in der vergangenen Saison war auch ziemlich gut, vielleicht sogar besser als unsere jetzige. Aber vom Gefühl her hatten wir diese Saison die "kleineren Mannschaften" besser im Griff und Leverkusen ist da das eine oder andere Mal eben gestolpert in diesem Jahr.

Leverkusen im letzten Jahr, also wenn du die ganze Saison unbesiegt bleibst – dann holst du einfach auch viele Punkte. Und das war ja schon fast schon abenteuerlich, was Leverkusen da gemacht hat, gerade mit diesen vielen Last-Minute-Toren.

Wir saßen am Fernseher und haben uns gedacht: 'Ja, jetzt endlich mal ein Unentschieden. Oder: Endlich verlieren sie jetzt vielleicht mal.' Und dann war wieder Nachspielzeit plus sechs und sie haben wieder einen reingedrückt. Also da wirst du schon wahnsinnig vorm Fernseher.

Unter Hansi Flick gewinnt Thomas Müller seinen zweiten Henkelpott mit dem FCB

bundesliga.de: Du könntest deine 13. Schale holen. Kein Mensch hat mehr Fingerabdrücke auf der Schale als du. Ist für dich die Schale an sich so besonders oder eher das Gefühl, Deutscher Meister zu werden?

Müller: Die Schale sieht gut aus. Also klar: Geschmack ist auch Gewöhnung, aber mir wurde zeit meines Lebens diese Meisterschale als etwas Positives suggeriert und dann habe ich das einfach genauso aufgenommen. Meine erste Schale habe ich 2010 geholt. Das Gefühl hat sich dann gleich bestätigt: Du hast etwas Schweres in der Hand. Das vermittelt ja auch das Gefühl, dass es echt nicht leicht ist, das Ding zu holen.

Es steckt immer wieder sehr viel Arbeit dahinter. Du musst ja über eine ganz lange Periode performen. Und deswegen ist die Zufriedenheit, wenn du die Meisterschale holst – glaube ich – größer als in der Champions League oder wenn du im Pokal gut unterwegs bist.

Loading video

Kein Pokalsieg für den FCB seit 2020: "Eine bittere Note"

Müller: Wobei ich ehrlicherweise sagen muss: Leider Gottes haben wir mit dem Pokal schon so lange nichts mehr zu tun gehabt, dass ich für den DFB-Pokal schon gar kein Gefühl mehr habe. Das ist tatsächlich eine bittere Note.

bundesliga.de: Bielefeld wäre für den FC Bayern ein machbarer Gegner gewesen, oder?

Müller: Bielefeld ist aktuell mit die gefährlichste Mannschaft. Wenn irgendein Bundesligist gegen die antreten muss, dann hat er statistisch schlechte Karten.

bundesliga.de: Was waren für dich deine Momente der Saison?

Müller: Meistens dann, wenn ich auf dem Platz stand. Wir hatten ein sehr aufregendes Spiel in Frankfurt. Es war eins meiner ersten Spiele von Beginn an. Da ging es dann in der letzten Minute noch 3:3 aus.

Steht vor seiner 13. und wohl letzten Deutschen Meisterschaft: Thomas Müller

Müllers Tor in Freiburg? "Das war Extraklasse"

Müller: Da hatte ich dann ein tolles Interview nach dem Spiel mit Michael Ballack darüber, wie viel Risiko man in der Restverteidigung gehen sollte. Ja, wenn es klappt, war alles super. Wenn es nicht klappt, dann ist man zu viel Risiko eingegangen.

bundesliga.de: Kannte Ballack denn den eigenen Strafraum?

Müller: Nein, aber den gegnerischen kannte er ganz gut. (lacht)

bundesliga.de: Zählt dein Tor in Freiburg zu deinen Momenten der Saison?

Müller: Oh ja, das war natürlich Extraklasse. Und ich glaube, passend dazu: Da habe ich Sepp Maier überholt, in der clubinternen Rekordspieler-Liste. Ja, das könnte man als Highlight durchgehen lassen.

"Ich empfinde sehr viel Freude und Dankbarkeit"

bundesliga.de: Wenn du dem 10-jährigen Thomas Müller etwas sagen könntest, was würdest du ihm sagen?

Müller: Also zuerst würde ich erst mal sagen: 'Grüß dich! Wie geht's dir? Gut schaust aus', würde ich sagen. (lacht) Und wahrscheinlich würde ich sagen: 'Hast du Lust, Fußball zu spielen? Dann bauen wir uns ein Tor auf und spielen ein bisschen Eins-gegen-eins.'

bundesliga.de: Kannst du dir emotional überhaupt vorstellen, dass du dieses rote Trikot ein letztes Mal trägst? Was wird dann in dir vorgehen?

Müller: Ich empfinde sehr viel Freude und auch Dankbarkeit. Gerade jetzt in den letzten Wochen merkt man ja schon ein bisschen, was in den Stadien los ist. Gerade bei den Heimspielen, wenn man eingewechselt wird oder auch bei meinem Ausgleichstreffer gegen Inter Mailand. Den Leuten ist das natürlich auch bewusst.

"Ich kann und will mich noch nicht schlecht fühlen"

Müller: Ich spüre eine enorme Wertschätzung für die vergangenen 15 Jahre. Und das fühlt sich erst mal gut an, aber ich bin jetzt nicht super emotional, dass da für mich jetzt irgendwas wegbricht.

Also es wird sicherlich schwer, dieses Adrenalin, das du in einem Fußballstadion spürst,  zu ersetzen. Diesem Druck auch stand zu halten, diese Aufgabe – das ist eigentlich gar nicht zu ersetzen. Das weiß ich und das wird sich sicherlich an dem einen oder anderen Samstag, gerade in den ersten Jahren, nachdem man aus dem Geschäft raus ist, ein bisschen komisch anfühlen.

Aber damit werden wir dann auch umzugehen wissen. Aber aktuell habe ich es ja noch. Ich bin nicht so der Typ, der sich wirklich anstrengt, negative Sachen in der Zukunft zu finden, die vielleicht kommen werden, aber noch gar nicht da sind. Also wenn, dann will ich mich schlecht fühlen in der Zukunft, an dem Tag, an dem sich dann auch lohnt und nicht schon vorher.

Ähnliche News
Noch mehr Artikel

Ob im Urlaub oder zuhause - du willst wissen, wo welches Spiel übertragen wird? Ganz einfach:

  1. Lade die Bundesliga App herunter
  2. Klicke auf Spiele
  3. Sieh sofort, welcher Sender dein Spiel im jeweiligen Land zeigt!