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"Im Fußball zählt, was du kannst. Nicht, wer du bist“

Salihamidzic: "Im Fußball zählt, was du kannst. Nicht, wer du bist“
Salihamidzic: "Im Fußball zählt, was du kannst. Nicht, wer du bist“

Hasan Salihamidzic kam als Jugendlicher nach Deutschland. Im Interview mit dem DFL MAGAZIN (Ausgabe 5|21) spricht der 44-Jährige über seine Flucht, den Neustart in fremder Umgebung und die Auswirkungen dieser Zeit auf sein heutiges Leben.

Herr Salihamidzic, mit 15 Jahren wurden Sie von Ihrer Familie nach Hamburg geschickt, um dem Krieg in Ihrer Heimat, dem heutigen Bosnien und Herzegowina, zu entkommen. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Satz auf Deutsch?

Hasan Salihamidzic: Ja, den weiß ich noch genau. Ich hatte vor meiner Abreise die wichtigsten Sätze und Ausdrücke in ein kleines Buch geschrieben. Einer davon war: „Ich möchte eine Limonade.“ Als ich nach der Busreise von Split in Dortmund ankam, ging ich nahe dem Bahnhof in ein Café, kramte mein Buch hervor und versuchte zu bestellen. Der Mann dort hat mich erst gar nicht verstanden. Aber wie es der Zufall wollte, stellte sich heraus, dass er wie ich aus dem gerade auseinanderfallenden Jugoslawien stammt. Er drückte mir eine Limonade in die Hand und half mir, das Zugticket für die Weiterreise nach Hamburg zu kaufen. Dort holte mich dann ein Bekannter meines Vaters ab.

Wie schwer war es für Sie, von Ihrer Familie getrennt zu sein?

Salihamidzic: Während der ersten drei Monate habe ich jeden Tag geheult. Papa, Mama und meine Schwester waren das Wichtigste für mich. Aber mein Vater wollte mich unbedingt in Sicherheit bringen. Die Front verlief im Sommer 1992 ganz in der Nähe unserer Stadt, Jablanica in Bosnien. Mein Vater, der damals noch als Polizeibeamter arbeitete, hatte große Angst, dass die Verteidigungslinie zusammenbrechen könnte. Es gab damals „ethnische Säuberungen“, bei denen auch männliche Jugendliche erschossen wurden. Er kam eines Tages zu mir und sagte: „Hier ist eine Kalaschnikow, hier ist eine Pistole. Sobald die Front zusammenbricht, schnappst du dir Mama und deine Schwester und fährst mit dem Auto dorthin.“

Wie sollte das gehen, Sie waren doch erst 15 Jahre alt?

Salihamidzic: Er zeigte mir eine Route auf der Karte. Wir übten Autofahren. Doch dann kam ihm eines Tages die Idee mit Hamburg. Er sagte zu mir: "Du bist Jugendnationalspieler, du musst hier unbedingt weg und versuchen, es als Profi zu schaffen.“ Er hatte in Hamburg diesen alten Schulfreund. Der ging zu Rudi Kargus, dem früheren Nationaltorhüter und damaligen A-Jugendtrainer des Hamburger SV, und fragte ihn, ob ich zum Probetraining kommen dürfe.

Im Mai 1992 hatten Sie noch mit serbischen und kroatischen Mitspielern für Jugoslawien an der U16-Europammeisterschaft auf Zypern teilgenommen. Hatten Sie für sich eine Erklärung, warum die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen plötzlich aufeinander schossen?

Salihamidzic: Nein, ich konnte das überhaupt nicht begreifen. Bei uns in der Stadt lebten Katholiken, Moslems und Orthodoxe friedlich zusammen. Aber als ich aus Zypern zurückkam, war alles anders.

Inwiefern?

Salihamidzic: Nur ein Beispiel: Bei uns im Wohnblock lebte im achten Stock eine Familie, mit der wir eng befreundet waren. Er ist Serbe, sie Kroatin, sie hatten und haben zwei Kinder. Wir gingen bei ihnen ein und aus, sie gingen bei uns ein und aus. Die Türen standen immer offen. Wir aßen zusammen, wir waren wie eine Großfamilie. Dann, eines Tages, ging die Frau einfach an mir vorbei. Sie sprach nicht mehr mit uns. Ich bin zu meiner Mutter gerannt und habe sie gefragt, was da los sei. Die Erfahrung, dass Menschen andere Menschen nach ihrer Herkunft beurteilen, hatte ich bis dahin nicht gemacht. Wir waren anders erzogen worden. Es erschien mir unmöglich, dass sich Freunde und Nachbarn so gegeneinanderstellen würden. Es waren furchtbare Zeiten. Jablanica wurde bombardiert. Ein Blindgänger schlug genau bei uns im Flur ein. Gott sei Dank haben bei uns alle überlebt. Mit der Familie haben sich meine Eltern inzwischen ausgesprochen, alles wieder gut.

 Wie gelang Ihnen die Flucht?

Salihamidzic: Ich wurde in einem Bus an mehreren Checkpoints vorbei nach Kroatien geschmuggelt. Später, an der Grenze zu Slowenien, wurden wir angehalten. Ich war der einzige Passagier mit jugoslawischem Pass im Bus und musste aussteigen. Die kroatischen Soldaten wollten wissen, was ich hier mache. „Ich gehe Fußball spielen in Hamburg, ich will Profi werden.“ Die haben sich kaputtgelacht und mich schließlich gehen lassen. Ich kam mit umgerechnet 800 D-Mark in der Hosentasche in Deutschland an. Das Geld hatte ich mir vom Kellnern zusammengespart. Mit diesem Job hatte ich in den Wochen zuvor meine Familie unterstützt.

Hasan Salihamidzic spricht über seine Flucht, den Neustart in fremder Umgebung und die Auswirkungen dieser Zeit auf sein heutiges Leben

Kamen Sie in Hamburg gleich gut zurecht?

Salihamidzic: Es dauerte ein paar Wochen. Es gab auch ein paar kleinere Eingewöhnungsschwierigkeiten. Die Familie, bei der ich wohnte, hatte Fruchtjoghurts im Kühlschrank, so etwas hatte ich zu Hause nie gesehen. Manchmal aß ich fünf Stück am Tag, man musste alles vor mir wegschließen. (lacht) Ich wusste auch nicht, dass es sehr teuer war, mit meiner Familie zu telefonieren. Irgendwann hat der Vater der Familie dann ein Telefon gekauft, das man absperren konnte.

Und wie lief es beim Fußball?

Salihamidzic: Ich hatte das Glück, dass die Freunde meines Vaters nur ein paar Minuten entfernt vom Sportplatz an der Rothenbaumchaussee wohnten, wo die Amateure trainierten. Ich stand jeden Tag um sechs Uhr früh auf, kletterte über den Zaun und machte dort meine Läufe und Dribblings – bis mich der Platzwart irgendwann wegjagte. (lacht) Die Leute beim Hamburger SV dachten wohl: „Der Junge ist total bekloppt.“ Aber sie gaben mir eine Chance, weil sie sahen, dass ich es wirklich wollte. Dem großen Ziel, es als Profi zu schaffen, ordnete ich alles unter. Deswegen war es auch unheimlich wichtig für mich, die Sprache zu lernen. Denn ich wollte nicht in der Kabine sitzen und keinen Ton herausbringen.

In der aktuellen Ausgabe 5|21 des DFL MAGAZINS spricht Hasan Salihamidzic auch darüber, welche Filme ihm dabei halfen, schnell Deutsch zu lernen und welche Person eine prägende Persönlichkeit in seinem Leben war. Das gesamte Gespräch gibt es in der kostenlosen E-Paper-App für iOS und Android sowie im interaktiven PDF auf DFL.de.

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