60 Jahre Bundesliga
Richard Golz wurde beim Hamburger SV und dem SC Freiburg zur Bundesliga-Legende, inzwischen besetzt er als Personalberater die halbe Liga mit neuem Personal. Ein Interview über richtige Netzwerke, die verpasste Präsidentschaft mit Felix Magath und die Einsamkeit des Torhüters.
In der Serie "Nachspielzeit" sprechen Bundesliga-Legenden jeden Freitag über ihr Leben nach dem Fußball.
Richard Golz, als Torwart für den Hamburger SV, den SC Freiburg und Hannover 96 waren Ihre Aufgaben klar umrissen. Seit 2018 sind Sie Partner bei einer Personalberatungs-Firma und leiten da die Practise "Sports". Was genau darf man sich darunter vorstellen?
Richard Golz: Wir unterstützen unsere Klienten bei der Rekrutierung von Personal und stellen sicher, dass Vakanzen nachhaltig besetzt werden. Dabei begleiten wir den Suchprozess bis zum erfolgreichen Abschluss. In der Regel handelt es sich um Schlüsselpositionen in den jeweiligen Unternehmen. Unsere Klienten können Vereine, Verbände oder andere Organisationen sein, die im Sport-Umfeld tätig sind. Mein erster Auftrag war die Position "Leiter Sicherheit" bei einem Fußball-Zweitligisten. Der Job ist sehr vielfältig.
Welche Qualitäten benötigen Sie für diesen Beruf?
Sehr unterschiedliche Skills. Da ist zunächst einmal die vertriebliche Komponente. Du musst das Gras wachsen hören und immer in Kontakt mit potenziellen Auftraggebern sein, um im Bedarfsfall den Auftrag zu bekommen. Man tauscht sich aus auf Konferenzen, per E-Mail oder Telefon, baut seine bestehenden Beziehungen aus und ist einfach sehr nah dran an der Szene. Da geht es darum, die richtige Mischung zu finden: Den Menschen nicht zu viel auf den Keks zu gehen, aber auch eng an ihnen dranzubleiben. Verhandlungsgeschick beim Gestalten der Verträge mit Auftraggebern gehört auch dazu. Zu meiner Zeit als Spieler war die Szene der Spielerberater noch nicht so ausgeprägt, wie heute und ich habe lange gedacht, ich könne meine Vertragsgespräche allein führen. Bis ich feststellte, dass die meisten meiner Kollegen offenbar besser verhandeln konnten als ich oder jemanden dafür hatten. Verhandeln kann man tatsächlich lernen. (lacht)
Wie genau sieht der Prozess aus?
Zunächst bespricht man das Jobprofil oder erarbeitet es gemeinsam mit dem Klienten. Darauf aufbauend entwickeln wir eine Suchstrategie. Wer sind aussichtsreichste Kandidat*innen, wer wäre überhaupt interessiert an einem Wechsel? Und wer passt wie wo hin?
Als Torwart gehörte es zu Ihren Aufgaben, mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen. Wie schaffen Sie es in Ihren aktuellen Job, die richtigen Kandidat*innen für die richtigen Posten zu finden?
Auch in der Personalberatung geht ohne ein gutes Team nicht viel. In den Interviews mit Kandidaten braucht man gute Menschenkenntnis und muss die richtigen Fragen stellen. Am Ende wird bei aller Fachlichkeit meistens die Persönlichkeit eingestellt. Unser Job ist, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass der Deckel auf den Topf passt.
Hilft Ihnen dabei die Erfahrung aus 20 Jahren Profifußball?
Ein gewisse Widerstandsfähigkeit habe ich mir durch den Sport sicherlich angeeignet. Und die braucht man in diesem Job auch. Man bekommt in der Akquise öfter ein "Nein" zu hören, damit muss man umgehen können.
Ist es möglich, als Personalberater ein ähnliches Gefühl der beruflichen Befriedigung zu erlangen, wie als Fußball-Torwart?
Als Sportler und damit Adrenalin-Junkie ist es natürlich ein anderes Gefühl, wenn wir als Team einen guten Job gemacht haben. Es werden nicht so viele Hormone ausgeschüttet, aber es erfüllt mich sehr, wenn unsere Arbeit einen Mehrwert für den Auftraggeber darstellt und beide Seiten zufrieden sind.
Hat Ihnen die Erfahrung als Fußballer geholfen, in diesem Job schnell Fuß zu fassen?
2018 kam ich als Quereinsteiger in dieses Business und habe erstmal einen halbjährigen branchenspezifischen Crashkurs bekommen. Wie verhandelt man, was gilt es in den Verträgen zu beachten? Wie funktioniert das Geschäft oder erfolgreiche Kommunikation? Meine Vorgeschichte als Fußballprofi half mir dabei nur bedingt. Viele Dinge kamen mir dann später bekannt vor, liefen vorher eher unbewusst ab.
Sie galten schon zu aktiven Zeiten als Fußballer, der über den Tellerrand hinausschaut. Wie sah das konkret aus?
Mit Anfang 20 habe ich Wirtschaftswissenschaften studiert, aber nur zwei Scheine gemacht. Und noch zu meinen Hamburger Zeiten absolvierte ich ein Praktikum bei einem lokalen Radiosender. Mein Mentor dort: Rollo Fuhrmann! In Freiburg kam dann ein Studium in Sportmanagement dazu. Meine beiden letzten Jahre als Profi war ich bei Hannover 96 unter Vertrag, als Backup für Robert Enke. Sportdirektor war damals Christian Hochstätter. Ich ging zu ihm und bot mich als Torwarttrainer im Nachwuchsbereich an, um herauszufinden, ob das vielleicht was für mich sein könnte. Er sagte: "Wir haben zwar kein Geld dafür, aber du kannst dich gerne austoben." Was ich dann auch tat: Zweimal die Woche bei der U19.
Wie ging es weiter?
2008 war es Zeit, meine Karriere zu beenden. Ich war 39 Jahre alt, hatte bei 96 eine tolle Zeit und den großartigen Teamgeist genossen, doch jetzt hatte ich lange genug auf der Bank gesessen. Ich ging wieder zurück zum HSV, war dort als Torwarttrainer verantwortlich für die Ausbildung im NLZ und blieb die nächsten fünf Jahre in dem Job. Damals gab es für Torwarttrainer noch keine spezifische Ausbildung, das war sehr autodidaktisch. Ich musste mir mein Konzept erstmal erarbeiten, das hat sehr viel Spaß gemacht. Parallel dazu machte ich noch meinen Master in Sport- und Eventmanagement, weil in mir der Gedanke reifte, mal aus der Fußball-Bubble auszutreten. 2013 folgte ich als gebürtiger West-Berliner dem Ruf meines Herzensvereins der Jugend, und war bei Hertha BSC zwei Jahre Torwarttrainer in der Bundesliga. Die letzte Station und ein echtes Abenteuer erlebte ich an der Seite von Christoph Daum, als wir gemeinsam versuchten, Rumänien für die WM 2018 zu qualifizieren – was leider nicht gelang. 2017 entschied ich mich schließlich für den Cut.
Erst kürzlich sind Sie allerdings wieder mit dem Hamburger SV in Verbindung gebracht worden. An der Seite von Klublegende Felix Magath wollten Sie sich bei der demnächst stattfindenden Präsidentschaftswahl aufstellen lassen. Der Beirat des Klubs hat Magath jedoch nicht zur Wahl zugelassen. Was ist da schiefgelaufen?
Kurz bevor Marcell Jansen 2021 als Präsident wiedergewählt wurde, kam eine Anfrage aus der Fanszene, ob ich mir das Amt des Präsidenten vorstellen könnte. Es passte damals vom Timing nicht, führte aber zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema. In den vergangenen Jahren bin ich bei verschiedenen Gelegenheiten immer mal wieder Felix Magath über den Weg gelaufen und irgendwann kam die Idee auf, gemeinsam zur Wahl anzutreten, um unserem alten Verein zu helfen. Durch meine Tätigkeit als Personalberater bilde ich mir ein, inzwischen ziemlich gut zu wissen, warum bestimmte Vereine funktionieren und andere nicht. Letztlich hat sich der Beirat entschieden, die Kandidatur von Felix nicht zuzulassen und da wir unser Konzept gemeinsam entwickelt haben und umsetzen wollten, zog ich meine Kandidatur zurück.
Richard Golz, was hat Sie der Fußball fürs Leben gelehrt?
Dass man sich nicht immer auf den ersten Eindruck verlassen sollte, wenn man Menschen wirklich einschätzen möchte. Kontakt schafft Nähe und Nähe schafft Kontakt. Beim SC Freiburg bin ich eimmal im Training ganz fürchterlich mit Abder Ramdane aneinandergeraten. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich ihn nicht wirklich und fand ihn eher doof. Nach der Aktion haben wir miteinander geredet und ich lernte dabei den Menschen Ramdane kennen. Von da an haben wir uns richtig gut verstanden. Man muss sich Zeit nehmen, um einen Menschen beurteilen zu können. Das ist in meinem heutigen Job ganz genauso.
Welcher Trainer hat Sie in dieser Hinsicht nachdrücklich geprägt?
Volker Finke hat die große Gabe, Ressourcen in Menschen zu erkennen und freizusetzen. Er hat Spielern, die weitestgehend unbekannt waren, Vertrauen geschenkt, Freiheiten gegeben und damit auch noch Erfolg gehabt. Ich erinnere da nur an Tobias Willi, der unter Finke eine sensationelle Entwicklung nahm und fast beim FC Bayern gelandet wäre.
Sie haben für Ihre Klubs mehr als 500 Pflichtspiele absolviert. Wie viel Torwart steckt noch heute in Ihnen?
Das wird vermutlich immer so bleiben. Als Torwart erkennst du mögliche Gefahren früher als andere, weil du durch deine Perspektive immer das ganze Spiel im Blick hast. Die Antizipation ist stark ausgeprägt, das Verantwortungsbewusstsein sowieso. Denn du willst verhindern, dass der Gegner ein Tor schießt. Dann holst du den Ball aus dem Netz, deine Mitspieler gehen zum Mittelkreis und drehen dir automatisch den Rücken zu. Dann ist der Torwart der einsamste Mensch auf Erden.
Interview: Alex Raack
Markus Babbel: "Ich will in Wacken auflegen"
Frank Rost: "Wir haben einen Hengst 'Van der Vaart' genannt"
Jimmy Hartwig: "Bertold Brecht? Wo hat der denn gespielt?"
Uli Borowka: "Werde mein Leben lang gegen die Sucht kämpfen"
Tobias Rau: "Ich war naiv und hätte mich wehren müssen"
Martin Meichelbeck: "Arbeite mit Profis, die an einem Shitstorm leiden"