Bundesliga

2022-08-25T07:25:00Z

Werder-Wahnsinn und Bundesliga-Rekord in Dortmund

Die Geschichten zum Auswärtsspiel des SV Werder Bremen bei Borussia Dortmund waren eigentlich schon geschrieben: Der tapfere Aufsteiger hat sich sehr achtbar beim Favoriten aus der Affäre gezogen, aber am Ende fehlte es an der nötigen Effizienz, um bei eiskalten Dortmundern etwas Zählbares mitzunehmen. Doch dann passierte wahrlich Historisches: Zum ersten Mal in der Bundesliga-Geschichte konnte ein Team, das nach 88 Minuten noch mit zwei Toren hinten lag, noch einen Sieg einfahren. Es war zudem das erste Mal, dass für Werder drei Joker in einem Bundesliga-Spiel ein Tor erzielten.

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So richtig in Worte fassen konnte Marco Reus nach dem Schlusspfiff nicht, was in den letzten Minuten im Signal Iduna Park gerade passiert war. Während der BVB-Kapitän am Mikrofon um Worte rang, tanzten die Bremer Spieler vor den mehr als 8.000 mitgereisten Werder-Fans ausgelassen über den Rasen. "Wir haben über 90 Minuten keine richtige Kontrolle gehabt", gab Reus zu Protokoll - und traf damit den Nagel auf den Kopf. Werder war eigentlich die komplette Spielzeit voll da, kam auf 14:5 Torschüsse, hatte sogar etwas mehr Ballbesitz als die Borussia, nur der Ball wollte lange nicht ins Tor.

Ganz anders sah es beim BVB aus, der in der ersten Hälfte ohne echte Torchance blieb, aber nach einer starken Einzelleistung von Julian Brandt praktisch mit dem Pausenpfiff in Führung ging. Dortmund in Halbzeit eins nur mit 0,06 xGoals, aber mit dem einzigen Treffer. Ärgerlich für die Gäste, die aber auch nach der Pause weiter mutig den Weg nach vorne suchten. 69 Prozent Ballbesitzphasen in den ersten 15 Minuten nach der Pause sind ein Wahnsinnswert für einen Aufsteiger bei einem Champions-League-Teilnehmer. Mehrmals stand Gregor Kobel oder das lange Bein von Nico Schlotterbeck dem möglichen Ausgleich im Weg. Auf der Gegenseite jagte Raphael Guerreiro einen Distanzschuss schlafwandlerisch sicher durchs Gewühl im Strafraum in die rechte Ecke. An einem normalen Tag ist das die Entscheidung. Aber in dem Jahr zweite Liga ist die Bremer Mannschaft zusammengewachsen und selbst nach 88 Minuten versuchte das Werner-Team weiterhin alles.

Beim 7222. Anlauf hat es geklappt

Die Statistik sprach dabei klar gegen die Hanseaten: Vor dem dritten Spieltag der Saison 2022/23 lagen Mannschaften in der Bundesliga seit 1963 7.221 Mal mit zwei oder mehr Treffern hinten. In 7.216 Fällen ging das Team am Ende auch als Verlierer vom Platz. Immerhin fünf Mal, also in 0,07 Prozent der Partien, sprang noch ein Punkt dabei heraus. Komplett gedreht hatte das ein Club in der Bundesliga noch nie. Aber selten hat eine Mannschaft auch trotz eines 0:2-Rückstands kurz vor Schluss noch so unbeeindruckt weiter ihr Ding durchgezogen. Und irgendwie war es zu spüren, als der Außenrist-Schuss von Lee Buchanan in der 89. Minute rechts oben im Winkel einschlug, dass das Spiel noch nicht gelaufen war.

Fast beeindruckender als der blitzsaubere Kopfballtreffer von Niklas Schmidt zum 2:2 war die Reaktion auf den Ausgleich in der 93. Minute. Wer gedacht hatte, Werder würde sich jetzt hinten reinstellen, um den einen Punkt in Dortmund mit Mann und Maus zu verteidigen, sah sich getäuscht. Die Bremer spielten weiterhin auf Sieg. Auch der von Krämpfen geplagte Kapitän Marco Friedl musste auf die Zähne beißen, denn das Wechselkontingent war bereits erschöpft. Oliver Burke machte dann nach perfektem Zuspiel von Mitchell Weiser das Werder-Wunder, das sich diesmal ausnahmsweise nicht an der Weser abspielte, komplett.

Verrückter Spielverlauf, verdienter Sieg

Selbst der eher besonnene Ole Werner geriet auf der Trainerbank außer Rand und Band. "Diese Momente in so einem Stadion zu spielen, dafür ist man Fußballer geworden. Das ist ein Kinderheitstraum - wobei: so ein spektakuläres Erlebnis und so einen Spielverlauf kann man sich eigentlich selbst im Traum nicht ausmalen", schwärmte der Werder-Coach nach der Partie. Ganz nüchtern konstatierte der 34-Jährige aber auch: "Unter dem Strich war der Erfolg verdient". Da wollte auch BVB-Trainer Edin Terzic nicht widersprechen: "Es war eine verdiente Niederlage", erklärte Terzic nach dem Schlusspfiff unumwunden.

Die Bremer Helden waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht für ein Interview zu haben, denn die Feierlichkeiten dauerten noch an. "Die Stimmung ist überraschenderweise sehr, sehr gut", berichtete Werner aus der Kabine. Mittlerweile wird sich vermutlich auch bis zum letzten Bremer Spieler herumgesprochen haben, dass der Aufsteiger aus dem Norden nicht nur drei sehr wichtige Punkte geholt, sondern auch Bundesliga-Geschichte geschrieben hat. Fünf Zähler haben die Grün-Weißen nun schon auf dem Konto. Zudem gehört der SV Werder zum Club der bislang in dieser Saison ungeschlagenen. Und die Partie in Dortmund hat gezeigt: Diese Mannschaft sollte man erst abschreiben, wenn das Spiel wirklich abgepfiffen ist.

Florian Reinecke

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