Bundesliga
Wer sich nach der Partie des SV Werder Bremen bei der TSG Hoffenheim nur die Interviews nach dem Spiel angehört hat, der wusste nicht so Recht, wer diese Partie nun eigentlich gewonnen hatte. Selbstkritische Bremer hatten einiges zu bemängeln, während alle Hoffenheimer Beteiligten von einer starken Leistung sprachen. Die Art und Weise, wie die Hanseaten mit dem 2:1-Erfolg im Kraichgau umgingen, spricht für ein neues Selbstverständnis an der Weser.
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Marvin Ducksch hätte allen Grund gehabt, euphorisch ans Mikrofon zu treten. Der Bremer Aufstiegsheld hatte in Hoffenheim im zweiten Bundesliga-Spiel in Serie getroffen, nachdem er an den ersten sieben Spieltagen noch leer ausgegangen war. Und das per äußerst sehenswertem Direktschuss ins lange Eck. Stattdessen analysierte der 28-Jährige nüchtern: "Wir haben nicht das gespielt, was wir uns vorgenommen haben – so selbstkritisch muss man sein. Wir haben vorne den Ball nicht festgemacht und nicht gut im letzten Drittel gespielt. So haben wir die Chancen gegen uns bekommen, das müssen wir besser machen."
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Der Torschütze des 1:0 stand mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Durch die Bank waren die Gäste mit ihrem Spiel bei der TSG nicht zufrieden. Das ist schon erstaunlich, schließlich hatten die Kraichgauer zuvor kein Heimspiel in dieser Saison verloren. Hoffenheim kam zwar in der Partie insgesamt auf 16 Torschüsse, aber alle Abschlüsse zusammen addierten sich nur zu einem xGoals-Wert von 1,36. Das war mehr, als die Bremer bis zum entscheidenden Elfmeter zustande brachten, aber als Aufsteiger hätte man sich nach der Partie auch hinstellen können und sagen: "Hoffenheim hatte mehr Abschlüsse, aber die ganz dicken Dinger waren nicht dabei. Wir haben das hinten raus gut wegverteidigt" - und es hätte kaum jemand widersprechen können.
An der Weser ist aber seit dem Amtsantritt von Ole Werner im vergangenen etwas gewachsen. Das Selbstverständnis, das eigene Spiel durchzubringen, egal, wer der Gegner ist, haben die die Grün-Weißen auch nach der Rückkehr in die Bundesliga bewahrt. Deshalb wird das Spieler weniger vom Ergebnis und mehr von der Spielweise analysiert. Zudem sind dadurch Automatismen entstanden, die viele Gegner vor Probleme stellen werden. Wie Ducksch nach dem Ballgewinn vor der 1:0-Führung bereits auf den Flügel ausweicht und Füllkrug für den anschließenden Doppelpass in die Tiefe geht, bevor Romano Schmid mit seinem Pass auf Ducksch die Situation erst auslöst, ist richtig stark.
Dieses eingespielte Bremer Kollektiv - Niklas Stark war in Hoffenheim der einzige Nicht-Aufstiegsheld in der Startelf - ist nach neun Spieltagen das stärkste Auswärtsteam der Liga (elf Punkte). Allein der SC Freiburg könnte die Bremer mit einem Punktgewinn am Sonntag bei Hertha BSC noch überholen. Natürlich ragt Top-Torjäger Niclas Füllkrug aus diesem geschlossenen Team derzeit noch ein wenig heraus. Acht Tore und zehn Scorerpunkte - in beiden Kategorien ist "Fülle" die Nummer 1 der Bundesliga. Hansi Flick hat sich am Freitagabend in Hoffenheim selbst ein Bild vom Leistungsstand des Torjägers gemacht - und wurde dabei nicht enttäuscht. "Alles, was er macht, hat Hand und Fuß. Er könnte uns auch Elemente geben, die uns aktuell noch fehlen in einem 26er-Kader", so der Bundestrainer. Der Bremer Angreifer scheint echte Chancen auf ein WM-Ticket zu haben.
Füllkrug ist aber nicht der einzige Bremer, der derzeit groß aufspielt. Mitchell Weiser ist beispielsweise seit Wochen in einer außergewöhnlichen Form und in einer Kategorie sogar der Beste in den europäischen Top-Ligen. Der Bremer Flügelspieler hat in dieser Spielzeit schon acht Beinschüsse verteilt - einen mehr als Neymar, der in diesem Ranking auf Platz 2 folgt. Beinschüsse sind sicherlich nicht die wichtigste Statistik im Fußball, aber sie sprechen für das gesunde Selbstvertrauen des Spielers, der auch vor einer risikoreichen Aktion nicht zurückschreckt.
Diese breite Brust bringen derzeit alle Bremer mit - auch die, die erst während des Spiels eingewechselt werden. In der Vergangenheit hatten Joker wie Oliver Burke oder Niklas Schmidt schon ihre großen Auftritte, in Hoffenheim sorgte Jens Stage für großen Jubel. Nicht, weil der Däne sein erstes Bundesliga-Tor erzielt hätte, sondern weil er mit einer fantastischen Grätsche gegen Christoph Baumgartner in der Nachspielzeit den Sieg sicherte.
"Es ist klar, dass wir nicht übers Wasser laufen können", beschwichtigte Ole Werner nach der Partie. Aber fast alles andere würde man Füllkrug und Co. in der derzeitigen Verfassung absolut zutrauen.
Florian Reinecke