Bundesliga
Xabi Alonso hat mit Bayer 04 Leverkusen im Topspiel am 21. Spieltag einen wichtigen Erfolg gefeiert. Für das Spitzenduell gegen den FC Bayern München überlegte sich der spanische Trainer dabei einen ganz besonderen Matchplan. bundesliga.de analysiert, wie Alonsos "Werkself" den FCB besiegte.
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Kein Jonas Hofmann. Kein Patrik Schick. Und auch kein Jeremie Frimpong. Die Überraschung war groß, als Bayer 04 Leverkusen die Aufstellung für das möglicherweise Meisterschafts-vorentscheidende Duell mit dem FC Bayern München bekannt gab. Mit Bayern-Leihgabe Josip Stanišić entschied sich Xabi Alonso für den defensivstarken Rechtsverteidiger anstelle des Flügelsprinters. Offensiver agierte Nathan Tella, der eigentlich meist als Frimpong-Backup fungierte, als Außenstürmer. Und in der Spitze setzte Alonso mit Amine Adli ebenfalls auf volles Tempo statt auf die Torgefahr und Wandstürmer-Qualitäten von Mittelstürmer Schick.
Auch Thomas Tuchel reagierte im Vorfeld auf die - vermeintliche - Spielweise der "Werkself" und veränderte seine Formation in Anpassung an das Spiel, das Leverkusen in der bisherigen Saison zeigte. Der FCB startete mit einer Dreierkette, um das Leverkusener 3-4-3 zu spiegeln. Doch Alonso hatte etwas anderes vor...
Dass Frimpong nicht startete, hatte "taktische Gründe", verriet Alonso bereits vor der Partie. Im Nachhinein erkärte Alonso die Vorgehensweise genauer: "Wir können das Spiel dominieren, manchmal müssen wir aber auch warten und kompakt verteidigen." Das hat die "Werkself" gemacht. 38 Prozent Ballbesitz sind Saison-Tiefstwert für die spielstarken Leverkusener. Im Hinspiel, das mit 2:2 endete, hatte Bayer 04 mit 47 Prozent noch fast die Hälfte der Zeit den Ball am Fuß.
Doch diesmal entschied sich Alonso dazu, in einem stabilen Defensivblock zu verteidigen und den FCB kommen zu lassen. Hatte man im Hinspiel noch eine Balleroberungsdauer von durchschnittlich 18,7 Sekunden, waren es diesmal ganze 22,6 Sekunden, bis die "Werkself" wieder in Ballbesitz kam. Das hatte auch damit zu tun, wie man verteidigte.
Stanišić bildete mit dem gewohnten Abwehrverbund eine echte Fünferkette aus defensivstarken Akteuren. Frimpong ist ein herausragender Fußballer, glänzt jedoch vor allem im Spiel mit dem Ball und in der Arbeit nach vorne. Dadurch konnte die "Werkself" die Offensivreihe des FC Bayern mit den drei Angreifern sowie beiden hoch geschobenen Flügelverteidigern (Sacha Boey links, Noussair Mazraoui rechts) sehr gut im Eins-gegen-Eins verteidigen.
Davor agierte Alonsos Team mit einem sehr engen Offensivblock, um das Zentrum zu schließen und die abkippenden Halbraumstürmer Jamal Musiala und Leroy Sané besser verteidigen zu können. Vor allem Musiala versuchte immer wieder, sich ins Mittelfeldzentrum fallen zu lassen und anspielbar zu machen. Doch Granit Xhaka (und bei Sané Robert Andrich) nahm ihn immer wieder diszipliniert auf und ließ nicht zu, dass Bayerns Abwehr den quirligen Dribbler in Szene setzt. Dabei war auch eine große Disziplin vom Sturmtrio gefragt: Übernahm Xhaka Musiala und ließ damit Leon Goretzka laufen, musste meist Tella den Mittelfeldmann übernehmen. Das eng zusammengezogene Offensiv-Fünfeck half dabei.
Weil Florian Wirtz im eigenen Ballbesitz quasi als zentrale Spitze das Zentrum dicht machte und Eric Dier verteidigte, öffnete Leverkusen so kontrolliert die offensiven Flügel für Bayerns äußere Innenverteidiger. Während sich Minjae Kim oft zurückhielt, war vor allem Dayot Upamecano viel an offensiven Aktionen auf seinem rechten Flügel beteiligt. Das zeigte sich auch im Spiel: 55 Prozent der Offensivkationen des FCB starteten über die rechte Spielfeldhälfte, davon 35 Prozent über den Flügel. Wenn links etwas funktionierte, dann ebenfalls weit außen. 31 Prozent der Offensivaktionen starteten auf dem linken Flügel.
Leverkusens linke Seite verteidigte jedoch im Verbund stark. Die schnellen Leverkusener Angreifer hatten keine Probleme, kompakt im Zentrum abzuwarten und erst dann nach außen zu verschieben, wenn der Pass auf den Flügel gespielt wurde oder der Innenverteidiger bereits weit heraus gelaufen war. Brach Upamecano dann doch einmal durch, rückte Mittelfeldkämpfer Andrich aus dem Zentrum heraus und stellte den Innenverteidiger. Mit einer starken Zweikampfquote von 59 Prozent war Andrich nur schwer zu überwinden.
Weil Xhaka und der Dreier-Offensivblock gut verschoben, öffneten sich für den Franzosen nur selten Anspielstationen in Bayerns Offensive. Der sonst so furiose Angriff des Rekordmeisters - komplett abgemeldet.
Agiert ein Team mit einer zurückgezogenen Fünferkette, ist es häufig schwer, ins Umschalten zu kommen. Auch andere Vereine schafften es schon, die Offensive des FC Bayern - wenn auch nicht in dieser Qualität - in Schach zu halten. Meistens klappte es dann aber nur selten oder mit viel Glück, in gefährliche Offensivaktionen zu kommen. Doch Xabi Alonso hatte sich auch für das Spiel mit dem Ball einen besonderen Plan überlegt.
Anders als üblich schob nicht der rechte Flügelverteidiger (Frimpong bzw. in diesem Spiel Stanišić) nach vorne aus der Kette heraus, um mit einer flachen Viererkette aufzubauen, sondern Alejandro Grimaldo schob auf dem linken Flügel nach vorne. Dadurch bildete sich im eigenen Ballbesitz ein 4-2-3-1, bei dem Grimaldo sogar noch zentrumsorientierter spielte als Rechtsaußen Tella. Wirtz, gegen den Ball oft zentrale Spitze, ließ sich zurückfallen und Adli schob nach vorne durch, agierte quasi als Mittelstürmer.
Durch Grimaldos zentrale Positionierung ergab sich ein großer Raum auf dem linken Flügel. Vor allem der im Aufbau als Linksverteidiger agierende Piero Hincapie nutzte diese Möglichkeit immer wieder, um Angriffe auf seinem Flügel zu initiieren. Der Ecuadorianer ist zwar gelernter Innenverteidiger, spielte bei Leverkusen jedoch schon häufiger als Links- und sogar als linker Flügelverteidiger - er besitzt also Fähigkeiten wie Eins-gegen-Eins-Duelle, die es in dieser Rolle benötigt. Eine Herausforderung, für die München lange keine Antworten fand.
Neben Grimaldo sorgte auch Wirtz für große Probleme. Während Leverkusen Bayerns Dreierkette in der Arbeit gegen den Ball spiegelte, löste sich Wirtz im eigenen Ballbesitz von seinem direkten zentralen Gegenspieler Dier. Bayern reagierte mit verschiedenen Lösungsansätzen - doch alle offenbarten neue Probleme.
Zu Beginn reagierten die Bayern selten auf den zurückfallenden Wirtz - die Folge: Der junge Spielmacher kam immer wieder in Ballbesitz und konnte Leverkusens Angriffsspiel gestalten. Mit einer bitteren Folge: dem 1:0-Führungstreffer der "Werkself". Nach einem langen Anspiel von Edmond Tapsoba ließ Adli den Ball für Wirtz klatschen, der frei zwischen Bayerns Doppelsechs stand und dann mit dem Ball durchpreschen konnte. Ein Tackling-Versuch von Sechser Aleksandar Pavlovic schlug fehl.
Wirtz schickte Adli mit einem Traumpass hinter die Kette - und nur ein technischer Dribbelfehler des Stürmers sorgte dafür, dass die Bayern die Situation kurzfristig bereinigen konnten - dann folgte der schnelle Einwurf, der zum 1:0 führte. Leverkusen probierte es nicht mit Warnschüssen, sie zielten direkt scharf aufs Bayern-Tor. Doch für die restlichen 70 Minuten war der FCB gewarnt.
Schon vor dem 1:0 orientierte sich Goretzka zeitweise zu Wirtz, konnte aufgrund der Doppelaufgabe mit der Verteidigung gegen Xhaka jedoch nicht zu 100 Prozent dranbleiben. Nach diesem Angriff ließen die Münchner jedoch lieber einen der Leverkusener Sechser offen, als noch einmal Wirtz in ihrem Rücken zu verlieren. Deshalb zog sich vor allem Goretzka, in dessen Raum Wirtz am häufigsten ging, auf Wirtz zurück und ließ Xhaka frei.
Ein Konzept, das ebenfalls nur teilweise funktionierte. Denn einen Spieler wie Granit Xhaka ohne Druck die Fäden ziehen zu lassen, ist selten eine gute Lösung. Immer wieder sorgte der Mittelfeldregisseur mit seinem Andribbeln und den folgenden Spielverlagerungen für Räume, die Leverkusen attackieren konnte. Und wenn diese sich nicht öffnen, bot sich immer der tiefe Pass auf die schnellen Stürmer an.
Ein Umstand, der auch bei Bayerns drittem Lösungsversuch gegen Wirtz immer wieder für Probleme sorgte. Denn manchmal behielt der zentrale Innenverteidiger Dier Wirtz einfach in Manndeckung und begleitete seine langen Wege ins Mittelfeld. Teilweise zog Wirtz Dier bis in die eigene Abwehrkette aus der Abwehr. Die Folge waren große Räume und viel Platz für Steilpässe auf Tella und Adli.
Die wohl beste Aktion ereignete sich in der 42. Spielminute. Nach einem Ballgewinn war Xhaka ungedeckt - diesmal nicht in Zusammenhang mit Wirtz' Laufweg. Der Super-Youngster ließ sich weit zurückfallen und zog Dier aus der Kette. Weil auch Tella extrem breit stand und so Minjae nicht in Position war, stand Upamecano im Eins-gegen-Eins mit dem pfeilschnellen Tella. Xhaka erkannte das sofort und schickte Adli in die Tiefe.
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Der Angreifer schüttelte seinen Verteidiger ab und trieb den Ball bis an den Strafraumrand. Doch er wurde durch seine Ballkontakte zu sehr gebremst - und der schnelle Upamecano konnte mit viel Tempo im letzten Moment den Ball rausspitzeln. Ein Angriff, der böse hätte enden können. Mit einem besseren Kontakt hätte Adli hier das 2:0 erzielt und schon vor der Pause für klare Verhältnisse gesorgt.
Xabi Alonso hat den FC Bayern also durch seine taktische Cleverness vor schier unlösbare Aufgaben gestellt. Bei allem Lob für den Trainer darf jedoch nicht vergessen werden, dass der beste Plan nicht funktioniert, wenn die Spieler diesen nicht umsetzen können oder individuelle Fehler machen. Dass ausgerechnet der eigentlich auf defensive Stabilität ausgelegte Stanišić den Führungstreffer erzielt, war vor allem einem individuellen Fehler von Bayerns Boey geschuldet, der mit seinem hohen Tempo als Manndecker für Frimpong vorgesehen war - und als Winterneuzugang noch nicht eingebunden genug war, um sich im Mannschaftsverbund auch in der Raumdeckung perfekt zu verhalten und einen heranrauschenden Gegenspieler aufzunehmen. "Das 1:0 darfst du in einer Fünferkette einfach nicht kassieren", urteilte auch Tuchel nach der Partie.
Bei Bayer 04 Leverkusen kam an diesem Tag einfach alles zusammen: Eine perfekte taktische Ausrichtung, das Überraschungsmoment und eine individuelle Klasse auf höchstem Niveau. Kurzum: Der noch ungeschlagene Tabellenführer, der einen Bundesliga-Topwert nach dem nächsten jagt. Diese Mannschaft ist nicht wegen einzelnen Akteuren sondern als Gesamtheit - das Trainerteam und die Spieler - ein Meisterschaftskandidat.
Niklas Staiger