Bundesliga

2024-03-08T18:00:00Z

Das macht Guirassy und Stuttgart so stark

Manchmal schließt sich der Kreis. Serhou Guirassy kennt das allzu gut: Der Doppelpack im Topspiel gegen den VfL Wolfsburg (3:2) war sein erstes Spiel mit mehreren Toren seit dem Hattrick am 7. Oktober 2023. Gegner damals: Wolfsburg. Doch was macht den Stürmer und seinen VfB Stuttgart eigentlich so gut?

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Zuerst setzte sich Serhou Guirassy nach einer tollen Spielkombination seiner Mitspieler im Kopfballduell durch und netzte zum 1:0, dann verwandelte er noch einen Elfmeter zur erneuten 2:1-Führung. Der Doppelpack des Stuttgarter Stürmers am 24. Spieltag gegen Wolfsburg weckt Erinnerungen an seinen starken Saisonstart mit 13 Treffern in nur sieben Spielen. Damals katapultierte der 27-Jährige den VfB Stuttgart im Nullkommanichts vom Relegationsteilnehmer am Ende der abgelaufenen Saison in den Titelkampf. Doch im Fußball ändern sich Dinge ganz schnell...

Rückschläge und Pausen

Am 8. Spieltag gegen 1. FC Union Berlin traf der Guineer zum 14. Mal in der noch jungen Bundesliga-Saison. Doch im selben Spiel folgte der erste große Rückschlag: eine Verletzung an der Achillessehne. Seitdem hat sich Guirassy noch zwei weitere Male verletzt, war beim Afrika-Cup und kam nur noch auf 712 Einsatzminuten in der Bundesliga. Doch noch wichtiger: Bis zu diesem starken Doppelpack am 24. Spieltag erzielte er für den VfB nur noch vier Tore, davon zwei per Elfmeter. 

Mit einem durchschnittlichen Expected-Goals-Wert pro Schuss von 0,22 traf er an den ersten Spieltagen häufig, schoss zudem 30 Mal aufs Tor. Seit seiner Verletzung sank auch die Qualität der Chancen auf einen Durchschnittswert von 0,13. Zudem zielte er nur noch 21 Mal auf den gegnerischen Kasten. Der überragende Start zeigt, wie wichtig Selbstvertrauen und körperliche Fitness sind und welchen Unterschied sie für die Karriere eines Spielers ausmachen können.

Stuttgart hofft, dass der Doppelpack gegen Wolfsburg wieder der Anstoß für eine herausragende Form des Superstürmers ist. In den 18 Ligaspielen mit Guirassy hat der VfB starke 14 Mal gewonnen, teilte zweimal die Punkte und verlor nur zwei der Partien. In den sechs Spielen ohne den Guineer setzte es vier Niederlagen bei nur zwei Siegen. Die Tore pro Spiel gingen runter von 2,4 Treffer auf 1,8 - trotz eines furiosen 5:2-Sieges gegen Leipzig.

Aus Stellvertreter wird Sturmpartner

Der wichtigste Torschütze in Abwesenheit von Guirassy war Deniz Undav. Bis zum oben genannten Union-Spiel hatte der von Brighton & Hove Albion ausgeliehene Stürmer erst 62 Minuten gespielt, traf in dieser kurzen Spielzeit aber doppelt gegen Köln und schließlich einmal bei den "Eisernen". Es schien, als würde Undav aufblühen, sobald an der Reihe ist: Der 27-Jährige hat nach dem Auswärtsspiel beim FCU zwölf Tore erzielt, darunter kein einziger Elfmeter. Bundesligaweit kann nur Harry Kane diesen Wert mit toppen (19).

Noch beunruhigender für die Konkurrenz ist jedoch, dass Guirassy und Undav auch gut gemeinsam funktionieren: Undavs Tiefenläufe und seine Fähigkeit, Verteidiger mit sich zu ziehen, eröffnen Guirassy Räume, in die dieser wiederum hineinstoßen kann. Das funktionierte sogar gegen die in dieser Spielzeit übermächtig erscheinenden Leverkusener. Der VfB war die Mannschaft, die Xabi Alonsos Team in dieser Saison die beiden schwersten Spiele bereitet hat.

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Vielseitigkeit als bedeutendes Merkmal

Gleichzeitig ist Guirassy auch in der Lage, in den weiten Räumen Bälle anzunehmen, wobei er Innenverteidiger bei Eins-gegen-Eins-Situationen nach außen zieht und so für seine Mitspieler Räume öffnet, die dann in eben diese Räume vorstoßen können.

Werfen wir einen genauen Blick auf die Vorlagengeber für Guirassys Tore: Sofort fällt auf, dass der VfB Stuttgart sehr vielseitig agiert, was auch dabei half, die Ausfälle des Guineers besser aufzufangen. Sebastian Hoeneß agierte sowohl in Personalfragen als auch bei der Formation sehr flexibel. Anders als bei Harry Kane (fünf Torvorlagen von Leroy Sané) und Victor Boniface (vier Torvorlagen von Florian Wirtz) bekam Guirassy von keinem Stuttgarter Einzelspieler mehr als zwei Assists. Auf dieser Topmarke stehen mit Hiroki Ito, Waldemar Anton, Pascal Stenzel, Chris Führich und Maximilian Mittelstädt dafür allerdings gleich fünf Spieler. Doch einige Hinterleute des Sturmduos sind besonders bedeutsam.

Chris Führich - Hoeneß' Kaoru Mitoma

Chris Führich ist eine wahre Entdeckung. Dass der Fußball, den Sebastian Hoeneß beim VfB Stuttgart spielen lässt, an Undavs Heimatklub Brighton unter Roberto de Zerbi erinnert, ist keine neue Erkenntnis. Bleibt man bei diesem Thema, ist Führich quasi die deutsche Antwort auf de Zerbis Kaoru Mitoma. Zusammen mit Jeremie Frimpong ist Führich einer der besten Spieler der Bundesliga in progessiven Läufen - also Läufen mit Ball am Fuß, die eine gewisse Distanz zum gegnerischen Tor überbrücken. Er trägt den Ball am dritthäufigsten ins letzte Spielfelddrittel und ist auch Drittbester bei Läufen mit Ball in den Sechzehner. 

Darüber hinaus ist er einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler nicht nur der Bundesliga sondern Europas. Der 26-jährige ist zwar ein Spätzünder, nahm unter Hoeneß aber eine sensationelle Entwicklung. Seit seinem Abschied aus der Knappenschmiede des FC Schalke 04 im Jahr 2013 mit damals 15 Jahren war er in sieben verschiedenen Mannschaften zuhause, konnte jedoch noch nirgendwo so einen rasanten Schritt machen wie beim VfB.

Ein zweiter Spätzünder: Maximilian Mittelstädt

Neben Undav und Führich entwickelte sich zuletzt auch Maximilian Mittelstädt zu einer absolut bombastischen Sommerverpflichtung. Mit 26 Jahren ist er ebenfalls ein Spätzünder, der als einstiges Toptalent von Hertha BSC nun in Stuttgart eine Renaissance erlebt. Der Linksverteidiger ist ein Zeugnis für die hochqualitative Kaderzusammenstellung des ehemaligen Kieler und Paderborner Kaderplaners Fabian Wohlgemuth, der neben dem taktischen Geschick von Sebastian Hoeneß einen großen Anteil am Erfolg hat.

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Dank Hiroki Itos Vielseitigkeit - der Innenverteidiger spielte oft links hinten - begann Mittelstädt die Saison als Backup. Sein VfB-Debüt gab er in ebenjenem Spiel gegen Union Berlin. Doch seit November stand der 26-Jährige bis auf ein Spiel immer in der Startelf der Schwaben. Mittelstädt, der auch als Linksaußen oder im zentralen Mittelfeld agieren kann, wurde in der Vergangenheit oft herumgeschoben und fand nirgendwo ein Zuhause. Doch im innovativen Spielstil von Sebastian Hoeneß werden seine vielseitigen Qualitäten sehr gut eingesetzt. Der Linksverteidiger sucht gerne Laufwege nach innen, kombiniert im Zentrum und hilft so, das Offensivspiel zu stärken. Doch er kann auch in die Breite gehen und von außen in den Strafraum spielen. Seine 16 angebrachten Flanken sind Bestwert beim VfB. Zweiter ist sein Partner auf der linken Seite, Chris Führich. 

Das Zusammenspiel

Wie unberechenbar dieser Angriff ist, lässt sich sehr gut bei einer Großchance von Enzo Millot im Spiel gegen den 1. FC Köln sehen: Der Angriff startet über rechts, verlagert sich ab der Mittellinie aber nach links auf Mittelstädt, der von links weit ins Zentrum gerückt am Mittelkreis wartet. Von dort zieht der Linksverteidiger schnell weit nach außen, attackiert mit dem breit stehenden Führich zusammen den Flügel.

Doch weil Köln das gut verteidigt, geht es sofort wieder in die andere Richtung: Mittelstädt verlagert über Angelo Stiller auf den in diesem Moment rechten Sechser Mahmoud Dahoud. Doch Mittelstädt zieht sich nicht etwa in seinen Linksverteidiger-Raum zurück, er attackiert sofort die letzte Linie, läuft im Zentrum Kölns rechten Innenverteidiger Luca Kilian an. Gleichzeitig kommt zentral Guirassy zu seinem großen Moment: Er zieht die Aufmerksamkeit der Abwehr auf sich, läuft den linken Innenverteidiger Jeff Chabot an und lässt sich dann fallen. Chabot, der Guirassy mit allen Mitteln verteidigen will, begleitet ihn aus der Abwehr heraus.

Millot lauert dabei clever im Zentrum. Dort wartet er, bis Guirassy und Mittelstädt die Aufmerksamkeit ihrer Gegenspieler auf sich gezogen haben - und dann sprintet er durch die Schnittstelle in den Strafraum. Dahoud spielt einen scharfen Steilpass und Millot taucht frei vor FC-Keeper Marvin Schwäbe auf - trotz starker Torwartparade ein exemplarisch perfekter Angriff des VfB Stuttgart.

Guirassy und Mittelstädt nehmen Chabot und Kilian in Beschlag, Millot kommt zentral frei durch

Das Zentrum als Schlüssel

Natürlich gibt es noch weitere Faktoren, die zum Erfolg von Guirassy und Stuttgart beitragen. Millot und Josha Vagnoman sorgen auf der rechten Seite für Ausgewogenheit, Kreativität und Unberechenbarkeit. Auch hier hilft Vielseitigkeit: Millot startete zuletzt als Halbraumzehner auf der rechten Seite, agierte zuvor aber auch schon als Solo-Zehn oder als offensiver Akteur der Doppelsechs, wenn es dort eine ganz besondere Spielstärke brauchte. Zusammen mit Waldemar Anton und Stiller bildet er ein starkes Zentrum, das ein wichtiger Schlüssel beim Spielaufbau ist.

Die Wiedervereinigung von Stiller und Coach Hoeneß ist eine absolute Erfolgsgeschichte. Nach der U23 des FC Bayern München arbeiteten sie auch bei der TSG Hoffenheim zusammen. Stiller ist ein wichtiger Faktor in Hoeneß' Spiel, er kontrolliert das Tempo und sorgt für effizienten statt brotlosen Ballbesitz. Er kreiert Angriffe wie kaum ein anderer und liegt bei den Pässen ins finale Spielfelddrittel nur hinter Leverkusens Granit Xhaka zurück. Auch Anton ist stark darin, den Ball nach vorne zu treiben - seine progressiven Läufe wie Pässe gehören zu den besten der Liga. Zudem ist er der Stützpfeiler der drittbesten Defensive der Bundesliga. Gut möglich, dass Anton als VfB-Abwehrboss ein Thema für den EM-Kader Deutschlands werden könnte.

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Die Stuttgarter spielen eine überragende Saison: Dank hervorragender Neuzugänge, eines ausgezeichneten Trainers und unglaublicher Leistungen auf dem Platz erleben wir gerade eine echte schwäbische Wiedergeburt. Im Zentrum der vielen Stürmer, die den nächsten großen Schritt ihrer Karriere gegangen sind,  steht dabei Guirassy, der sich zu einem kompletten Angreifer entwickelt hat und die Stuttgarter Fans von der Champions League träumen lässt.

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