Bundesliga

2023-04-01T12:40:00Z

"Taktik-T-Rex" Tuchel beim FC Bayern

"Taktik-T-Rex" Thomas Tuchel in der Analyse: Wie könnte der FC Bayern spielen?
"Taktik-T-Rex" Thomas Tuchel in der Analyse: Wie könnte der FC Bayern spielen?

Der FC Bayern München hat mit Thomas Tuchel einen neuen Cheftrainer. Der in Mainz ausgebildete Übungsleiter wird vor allem aufgrund seiner taktischen Cleverness sehr hoch angesehen. Bei bundesliga.de werfen wir einen Blick darauf, was das für den FCB bedeuten könnte.

"Taktik-T-Rex" wurde Thomas Tuchel zu seinen Dortmunder Zeiten von einigen genannt. Obwohl es ein ironisch angehauchter Spitzname ist, liegt viel Wahrheit in ihm. Der mittlerweile 49-Jährige hat einen enormen Fundus an taktischen Ideen und Vielseitigkeit, mit denen er seine Gegner immer wieder vor große Probleme stellt. Nicht zuletzt beim Champions-League-Finale 2021 gewann sein FC Chelsea gegen Manchester City auch deshalb, weil der "T-Rex" seinen Kontrahenten Pep Guardiola auf taktischer Ebene geschlagen hatte.

Vor allem die Variabilität macht das Taktik-Genie zu einem herausragenden Trainer. Er ist nicht auf eine konkrete Spielweise oder bestimmte Formationen festgelegt, sondern passt sich durchaus variabel an seine Mannschaft an. Ohnehin variiert Tuchel mit seinen Matchplänen gerne wöchentlich, angepasst an den Gegner. Seine Taktik soll den Gegner sprichwörtlich auffressen – so wie es ein Tyrannosaurus Rex eben tut.

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Zu Beginn seiner Amtszeit baut Tuchel auf dem auf, was ihm der ehemalige Cheftrainer Julian Nagelsmann als Basis hinterlassen hat. "Es ist nicht die Zeit für große Wechsel in der Systematik oder in der Taktik", schilderte Tuchel anfänglich das Zeitproblem beim FC Bayern München. Der gebürtige Krumbacher konnte vor seinem Debüt als FCB-Trainer wegen der letzten Länderspielpause nur auf einen Bruchteil seiner Spieler an der Säbener Straße zurückgreifen. Teilweise stießen diese erst unmittelbar vor dem Klassiker (4:2) wieder zur Mannschaft. Da direkt danach das DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Freiburg (1:2) auf dem Plan stand, blieb nicht viel Zeit zum Trainieren. Aber welche Anpassungen sind mittelfristig vom "Taktik-T-Rex" zu erwarten?

Tuchels Formation: Dreier- oder Viererkette?

Der FCB ist eigentlich bekannt für sein klassisches 4-2-3-1. Gegen alle Trends blieb man in München lange bei der eingespielten Formation, einzig Pep Guardiola variierte mit Dreierketten, einem 4-3-3 und anderen Grundformationen und hatte dabei Erfolg. Auch Julian Nagelsmann experimentierte hin und wieder mit anderen Systemen. Nach einem enttäuschenden Start ins Jahr 2023 und drei Unentschieden mit vier Verteidigern stellte Bayerns Ex-Coach auf die Dreierreihe um – mit Erfolg. Neun Siege in elf Spielen standen seitdem zu Buche, sieben aus neun war die Bilanz im neuen Abwehrverbund. Zwei Mal wich er noch aufs 4-2-3-1 aus.

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"Große Wechsel", wie Tuchel sie ausschloss, müsste er also generell erstmal nicht machen, egal wie er auflaufen will. Denn Vorgänger Nagelsmann agierte situativ im 4-2-3-1, 4-1-4-1, 3-4-2-1 oder im 3-1-4-2. Viele Grundlagen, auf denen Tuchel aufbauen kann. Während der Ex-Mainzer lange als Verfechter der Viererkette galt, nutzte er schon bei Borussia Dortmund immer wieder drei Innenverteidiger, um seine Mannschaft defensiv zu stabilisieren. Nachdem diese Versuche bei Paris Saint-Germain scheiterten, behielt er beim FC Chelsea nahezu durchgängig die gespielte Dreierkette bei, obwohl er sie eher zu einem Fünfer-Abwehrverbund umbaute.

Denn offensive Flügelspieler nutzte Tuchel auf den "Joker"-Positionen, wie Vorgänger Nagelsmann die "Schienenspieler" auf den Außenbahnen nennt, nur selten. Wenn er es tat, dann zwar effektiv (bei Chelsea zwölf Siege, acht Unentschieden, keine Niederlage – von diesen acht Unentschieden gewann seine Mannschaft fünf in Verlängerung oder Elfmeterschießen). Aber generell agiert er am liebsten mit Verteidigern auf dem defensiven Flügel (in 66 der 86 Dreierketten-Spiele bei Chelsea). Acht der 20 Spiele mit offensiven Flügeln kamen in Pokalwettbewerben gegen niederklassige Gegner.

Die Außenverteidiger-Frage beim FC Bayern

Für den FCB wirft das Fragen auf: Wer besetzt die Flügelverteidiger-Positionen? Und was wird Thomas Tuchel mit Kingsley Coman machen, der zuletzt häufig als „rechter Joker“ agierte und dabei herausragende Leistungen ablieferte? Besonders in Spitzenduellen setzte er auf Abwehrspieler, gegen den BVB wird voraussichtlich ein richtiger Rechtsverteidiger dort agieren. Die Auswahl ist groß: Joao Cancelo, Noussair Mazraoui, Josip Stanisic oder Benjamin Pavard. Wobei einer der letzten zwei Akteure wohl im Abwehrzentrum gebraucht wird, sollte Thomas Tuchel weiterhin auf ein System mit drei Innenverteidigern setzen. Ohnehin passen Cancelo und Mazraoui besser in Tuchels Spielweise.

Denn der 49-Jährige (in der Nähe von Augsburg und München) ließ seine Außenverteidiger – egal ob Dreier- oder Viererkette – in der Vergangenheit meist sehr weit nach vorne schieben. Nicht selten waren sie dafür zuständig, die gegnerischen Außenverteidiger tief zu binden. Cancelo ist zwar besonders bekannt dafür, dass er im eigenen Ballbesitz ins Mittelfeldzentrum zieht, agierte jedoch bereits unter Nagelsmann in dieser offensiven Rolle. Mazraoui ist eine ähnliche Spielweise von Ajax Amsterdam gewöhnt, auch dort agierte er sehr offensiv.

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Ein Paradebeispiel für diese Ausrichtung zeigte sich seiner früheren Station bei Borussia Dortmund. Dort agierte bereits unter Thomas Tuchel Raphael Guerreiro als Linksverteidiger. Doch weil er diese hochschiebende Rolle nicht perfekt ausfüllte, verschob Tuchel den Portugiesen ins zentrale Mittelfeld – eine Rolle, in der Guerreiro in den vergangenen Spielen dieser Saison erneut zum Einsatz kam und komplett aufblühte. Für Kingsley Coman oder auch Serge Gnabry bedeutet das, dass sie voraussichtlich kaum noch auf dem Flügel eingesetzt würden.

Da beide ihre Stärken jedoch in Tiefenläufen und der Arbeit von außen nach innen besitzen und nicht - wie etwa Leroy Sane - im Halbraum zu Hause sind (Halbraum-Spieler -  im 3-4-3 die offensiven Mittelfeldspieler, die hinter dem Mittelstürmer agieren - beim FC Bayern zuletzt häufig Jamal Musiala, Leroy Sane und Thomas Müller), könnte sich für Tuchel mittelfristig eine Umstellung zurück ins 4-2-3-1 als logisch erweisen, um die Flügelstürmer nicht positionsfremd einsetzen zu müssen.

Doch bei Tuchel weiß man nie, wie er sich taktisch entwickelt und an seine Spieler anpasst. Möglicherweise überzeugt ihn Comans herausragende Form als "rechter Joker" so sehr, dass er dort nicht auf ihn verzichten möchte. Der 49-Jährige steht wie kein anderer für die Evolution seines Spiels anhand der Spieler, die ihm zur Verfügung stehen.

Defensive und die Arbeit gegen den Ball

Thomas Tuchel ist besonders bekannt für seine defensive Stabilität. Ein Thema, das bei den Bayern in der laufenden Saison immer mal wieder für Probleme sorgte. Den FC Chelsea stabiliserte er nach seiner Übernahme in einem tiefen 5-3-2-System. In den ersten 14 Pflichtspielen kassierte er nur zwei Gegentore. Das zeigte sich schon beim 1. FSV Mainz 05 und Borussia Dortmund, wo er vor allem selten verlor. Bei den Rheinhessen stellte er zwei beeindruckende Serien auf: Vier Spiele in Folge kassierte er kein Gegentor – und zwölf Spiele in Folge blieb er ohne Niederlage. Beide Serien sind derzeit Mainzer Rekorde in der Bundesliga.

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Der BVB verlor unter Tuchel nur 15 Prozent aller Bundesliga-Spiele, kein Dortmund-Coach kann eine niedrigere Prozentzahl aufweisen. Zudem verlor Thomas Tuchel mit der Borussia kein einziges Heimspiel in der Bundesliga (27 Siege, sieben Remis). Doch wie erreicht er diese defensive Stabilität? Tuchel-Teams ziehen sich gerne weit zurück und passen die exakte Höhe der letzten Defensivreihe an den Gegner an. Dabei setzt Tuchel oft nicht auf Gegenpressing, wie es Julian Nagelsmann tat, sondern strukturiert sich nach dem Ballverlust zunächst defensiv.

Das Wort "Pressing" wird unter Tuchel meist nicht als Umschalt-Taktik (wie etwa das in Deutschland verbreitete Gegenpressing nach dem Ballverlust) verstanden, sondern als Taktik in der Spielphase ohne Ballbesitz. Er baut clevere Pressing-Fallen auf und versucht damit, den Gegner in direkte Duelle mit seinen zweikampfstarken Spielern zu lenken – und das möglichst weit vorne, um dann schnell in eigene offensive Umschalt-Situationen zu kommen. Beachtet man Bayerns enorme Geschwindigkeit (vier Spieler der Top-20 in Sachen Top-Speed der laufenden Saison sind Münchner), könnte das ein Element sein, auf das Tuchel vermehrt setzen wird, wenn es gegen "große" Gegner geht.

Die Offensive: Tempo- und trickreich zum Torerfolg

Dabei brauchen Bayern-Fans nicht etwa Angst haben, ein Team zu werden, das ausschließlich den Beton anrührt. Tuchel entwickelte in seiner Trainergeschichte wöchentlich clevere Pläne, um den Gegner zu überlisten. In seiner ersten Saison beim BVB (2015/16) erzielte seine Mannschaft 82 Bundesliga-Tore – damaliger Vereinsrekord für die Borussia. Wie zuvor erwähnt, agierte Tuchel in der Vergangenheit vor allem mit hochgeschobenen Außenverteidigern. Schieben diese beispielsweise im 3-4-3 bis auf die letzte Kette, ergibt sich ein Aufbau aus einer 3-2-5-Formation.

Diese Strukturen lassen sich unter Tuchel regelmäßig erkennen, auch wenn er aus einer Viererkette aufbaut. Situativ verschiebt es sich auch in eine 2-3-5-Struktur. Wie genau es aussieht, ist gegnerabhängig. Tuchel versucht jedoch einen sicheren Aufbau zu gestalten, dabei aber die Überzahl in der Mittelfeld-Zentrale nicht zu verlieren. Sollte der Gegner mit vielen Spielern pressen, fallen seine offensiven Halbraum-Spieler etwas zurück, um Anspielstationen zu bieten und so das Spiel zu eröffnen. Da Tuchels Außenverteidiger eine Gefahr für Läufe in die Tiefe bieten, rücken die gegnerischen Innenverteidiger nur selten mit den Halbraum-Spielern heraus, sodass diese oft frei sind.

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Wichtig ist Tuchel allerdings besonders, beim strukturierten Spiel nach vorne viele Spieler in den Strafraum zu bekommen. Baut er aus einem 2-3-5 auf, agieren bereits drei zentrale Spieler in der vorderen Reihe im Strafraum, aus dem Mittelfeld-Bereich rücken zwei weitere an den Sechzehner hinterher – und der ballferne Außenverteidiger soll ebenfalls in den Strafraum einrücken. Hier muss der 49-Jährige beim FC Bayern jedoch das Rad nicht neu erfinden. Julian Nagelsmann legte auf dieselben Aspekte enormen Wert und war damit sehr erfolgreich. Bayerns 72 erzielte Tore sind mit weitem Abstand Bestwert in Europa Top-5-Ligen. Selbst Manchester City mit dem überragenden Erling Haaland kam bisher erst auf 67 Treffer – trotz zwei Spielen mehr. Paris Saint-Germain erzielte in drei Spielen mehr als der FCB immerhin 68 Tore.

Ob Dreier- oder Viererkette, im 3-2- oder 2-3-Aufbau - Thomas Tuchel bietet eine enorme Flexibilität und bringt in jedem System ein massives Offensivpotenzial sowie eine defensive Grundstabilität mit, um seinen Gegenüber zu schlagen. Die anstehenden Aufgaben, die vor dem FC Bayern liegen, sind weiterhin groß, aber mit dem "Taktik-T-Rex" sind die Münchner in der Lage, die Gegner in der Crunchtime der Saison sprichwörtlich aufzufressen.

Niklas Staiger

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