Bundesliga
Der FC Bayern München und der Sport-Club Freiburg treffen innerhalb von einer Woche gleich zweimal aufeinander. Am Dienstagabend hat sich der SCF im DFB-Pokal-Viertelfinale auswärts mit 2:1 durchgesetzt, am 27. Bundesliga-Spieltag steigt das Duell erneut, aber diesmal im Breisgau. Auf den Trainerbänken treffen zwei alte Bekannte aufeinander, die sich taktisch vor Herausforderungen stellen werden.
Zum ersten Mal begegneten sich Christian Streich und Thomas Tuchel in der A-Junioren-Bundesliga im Dezember 2004. Streich als Cheftrainer des Sport-Club Freiburg, Tuchel als Co-Trainer des VfB Stuttgart. Die Schwaben gewannen zuhause mit 2:1. Ein Trend, der sich fortsetzte. Die zwei ersten Aufeinandertreffen mit Tuchel in der Verantwortung (Saison 2008/09), dann bei den A-Junioren des 1. FSV Mainz 05, gingen ebenfalls an den heutigen Bayern-Coach.
Auch in der Bundesliga sieht die Bilanz bisher eindeutig aus – fünf Tuchel-Siege stehen zwei Unentschieden gegenüber - Streich gewann kein einziges Mal. Doch bekanntlich hat der DFB-Pokal seine eigenen Gesetze! Schon das erste Aufeinandertreffen zwischen Streich und Tuchel in diesem Wettbewerb entschieden die Freiburger für sich – 3:2 besiegten sie die Mainzer. In einer Partie der Extreme traf der FSV früh in der zweiten und vierten Minute. Spät glich Freiburg aus (86. und 90.+3), ehe man in der Verlängerung den Sieg holte. Und an diesem Dienstag entschied Streich auch das zweite DFB-Pokal-Duell mit Tuchel für sich, gewann mit dem SCF dank eines späten Elfmetertreffers 2:1 in München.
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In seinem Premierenspiel beim FC Bayern München kehrte Thomas Tuchel der zuletzt gespielten Dreierkette den Rücken und stellte seine Mannschaft im altbekannten 4-2-3-1 als Grundformation auf den Platz – der meistgenutzten Bayern-Formation seit der Einführung 2010 unter Louis van Gaal. Einzig Pep Guardiola wich erfolgreich davon ab. Das gab dem FCB Sicherheit und eine gewisse Routine im Spiel.
Doch in den Details unterschieden sich die Muster von dem, was zuletzt beim Rekordmeister zu sehen war. Im eigenen Spielaufbau setzte Tuchel auf eine relativ flache Viererkette mit Joshua Kimmich als zentralem Sechser davor. Leon Goretzka verschob halblinks nach vorne, Leroy Sane ließ sich vom eigentlich rechten Flügel neben ihn fallen, sodass Thomas Müller rechts rausschieben konnte. Dadurch entstand im Spielaufbau eine Art 4-1-2-3 oder 2-3-2-3. Je nachdem, wo man die Außenverteidiger einsortiert.
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Gegen den Ball fiel der FCB dann mit den Flügelspielern und auch Goretzka wieder zurück, sodass sich zwei flache Viererketten ergaben, die Borussia Dortmunds Offensive zwischen sich aufnahmen und eine personelle Überzahl schafften gegen deren fünf Offensivspieler plus zwei Außenverteidiger. Um Emre Can im defensiven Mittelfeld keinen Raum im Aufbau zu überlassen, agierte Müller auf seiner Zehner-Position zurückgezogen, während Eric Maxim Choupo-Moting vorne die Innenverteidiger anlief.
Thomas Tuchel gilt als taktisch extrem intelligent und wird seine detaillierten Muster voraussichtlich im zweiten Duell mit dem SC Freiburg und Christian Streich erneut etwas anpassen. Eine Abkehr vom 4-2-3-1 dürfte jedoch unwahrscheinlich sein, obwohl im Pokal vieles nicht wie gewünscht funktionierte.
Der SC Freiburg spielt eine extrem starke Saison. Ein Grund dafür ist auch Christian Streichs taktische Variabilität. Zwar beschränkte er sich in der Saison 2022/23 größtenteils auf zwei Systeme, doch das liegt vor allem an der eigenen Stärke. In der Vergangenheit zeigte sich Streich anpassungsfreudig und variierte wie Tuchel oft von Woche zu Woche seine Strukturen. Freiburg tut das zwar immer noch, agiert dabei jedoch oft aus denselben Grundformationen: Sollen es zwei Innenverteidiger sein, wird im 4-4-2 agiert. Mit einem dritten Innenverteidiger startet der SCF im 3-4-2-1.
Im eigenen Ballbesitz verändern sich jedoch beide Formationen enorm. Aus der Viererkette heraus fällt etwa oft Sechser Nicolas Höfler für den Spielaufbau in die Abwehrkette, sodass effektiv doch mit drei Spielern hinten herausgespielt wird. Zur Stärkung des Mittelfelds lässt sich dann häufig Vincenzo Grifo aus seinem linken Halbraum zurückfallen und zieht aus der Schaltzentrale die Fäden. Die beiden Spielmacher sind hauptbestimmend für Freiburgs Ballbesitzspiel.
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Ist der SCF in der Defensive gefragt, setzt Streich wie sein Gegenüber Tuchel auf Gegner-bezogene Strukturen. Oft ließ er diese Saison in einem flachen 4-4-2 verteidigen. Agiert der Gegner mit einem dominanten Sechser, zieht er einen seiner Stürmer (meist Roland Sallai oder Lucas Höler) auf die Zehner-Position zurück, so wie Tuchel es mit Müller gegen Dortmund tat. Dann agiert der Sport-Club in einem 4-4-1-1-ähnlichen Defensivverbund. Aus dem 3-4-2-1 heraus kann Freiburg sich ebenfalls variabel zurückziehen. Entweder natürlich in ein 5-4-1 bzw. 5-2-3. Oder mit asymmetrischen Rotationen, wenn die Gegneranpassung es fordert.
Besonders gerne setzte Streich in den vergangenen Spielen gegen Bayern München auf eine mutige Mann-gegen-Mann-Deckungsvariante. Zumindest die mutige Einstellung soll auch jetzt wieder Tenor sein. "Wir probieren lieber frei zu spielen, als dass wir ängstlich sind. Man soll von außen sehen, dass wir alles verteidigen und uns taktisch gut verhalten", sagte Streich vor dem ersten Duell dieser Woche. Und genau so war es dann auch zu beobachten. Natürlich gelang es seiner Mannschaft nicht, den Bayern jegliche Chancen zu verwehren, doch beim Gegner kam deutlich weniger Spielfluss auf als noch im Klassiker.
Klar ist: Die beiden Top-Trainer kennen sich sehr gut. Auch wenn Christian Streich in der Pressekonferenz vorm DFB-Pokal erklärte, "keinen Vorteil" in seiner langjährigen Erfahrung gegen den Kontrahenten zu sehen (elf Duelle gegen Tuchel, kein aktiver Bundesliga-Trainer hat mehr), wird beiden klar sein, dass sie sich taktisch aufeinander einstellen müssen. Auch innerhalb der Partien zeigten beide Trainer in der Vergangenheit gute Anpassungsfähigkeiten an ihre Gegner.
Daher dürften nach dem ersten Duell der Woche die Gedankenspiele laufen: Was hat der eine sich überlegt, was den anderen am Wochenende vielleicht überraschen könnte? Und welche Möglichkeiten gibt es, darauf zu reagieren? Thomas Tuchel ließ bei seinen früheren Vereinen, anders als zuletzt gegen Dortmund, gerne die Außenverteidiger im eigenen Ballbesitz weit nach vorne aufrücken. Das würde bei einer 4-4-1-1-Defensive Freiburgs die Flügelspieler sehr tief binden und das Umschalten erschweren.
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Da hierbei die offensiven Flügelspieler Bayerns weit einrücken, könnte Streich die eigene Flügeldopplung auflösen, auf eine Dreierkette umstellen und so die Umschaltspieler vorne halten. Dabei agierte Freiburg zuletzt auch variabel mit Offensivspielern auf der rechten Seite – sowohl Höler als auch Sallai agierten als "Außenspieler" zur Dreierkette, wie Streich die Schienenspieler-Position nennt. Er müsste also nicht auswechseln, sondern könnte im laufenden Spiel wechseln. Die beiden Flügelspieler (voraussichtlich Grifo und Ritsu Doan) könnten dann in die Halbräume rücken.
Im DFB-Pokal-Viertelfinale reagierte Tuchel auf Freiburgs stabiles 4-4-2 mit einer Halbzeitumstellung und schob Joao Cancelo von der Linksverteidiger-Position im Spielaufbau ins Zentrum, sodass sich ein 3-2-Aufbau ergab. Freiburgs Doppelsturm konnte zuvor Joshua Kimmich sehr gut aus dem Spiel nehmen - doch mit Cancelo daneben wurde die Aufgabe schwieriger. Immer wieder kam der Portugiese zentral an den Ball und sorgte für Schnittstellenpässe. Freiburg reagierte darauf, indem sie sich zentral noch tiefer zurückfallen ließen, um die Räume zwischen Sturm-Duo und Sechser-Duo so eng wie möglich zu gestalten. Das und beherzte Manndeckung von Ritsu Doan ließen jedoch nicht viel zu. Für das Bundesliga-Spitzenspiel am 27. Spieltag wird Tuchel sich wohl etwas anderes überlegen müssen.
Was die beiden Taktikfüchse sich auch ausdenken, eines ist klar: Obwohl zwei Spiele kurz hintereinander stattfinden, müssen sie nicht im Ansatz ähnlich sein. Besonders von Dienstag auf Samstag werden sich beide Trainer konkrete Pläne gegen die Ideen des Gegenübers im ersten Duell überlegen. Eine zweite Niederlage wird Thomas Tuchel zwingend abwenden wollen. Eventuell stehen dann dieselben Mannschaften auf dem Platz, es werden aber zwei komplett andere Fußballspiele – geprägt von zwei taktischen Genies.
Niklas Staiger