60 Jahre Bundesliga

2025-07-24T14:33:22Z

Hildebrand: "Es sind kleine und große Katastrophen passiert"

Timo Hildebrand war einst einer der besten Keeper Deutschlands und hält bis heute einen Bundesligarekord. Nach der Karriere fand der ehemalige Nationalspieler eine neue Passion. Im Interview spricht er über sein veganes Restaurant, Yoga-Festivals und einen Neustart in der Klinik.

In der Serie "Nachspielzeit" sprechen Bundesliga-Legenden jeden Freitag über ihr Leben nach dem Fußball.

Timo Hildebrand, kurz nachdem Sie 2015 Ihre Karriere beendeten, entschieden Sie sich für den Aufenthalt in einer psychotherapeutischen Klinik. Im Podcast „Raus aus der Depression“ haben Sie sehr offen darüber gesprochen, auch über den Auslöser für Ihre persönliche Krise, die Trennung von Ihrer Partnerin. Welche Hilfe haben Sie dort gefunden?

Timo Hildebrand: Für mich war es damals wichtig, raus aus meinem Alltag zu kommen, dieses innere Gefangensein zu durchbrechen. Vor Ort habe ich dann den nötigen Abstand und die Ruhe gefunden, um die gescheiterte Beziehung zu verarbeiten und wieder mehr zu mir selbst zu finden.

Sie waren einer der besten Torhüter Ihrer Generation, halten immer noch den Rekord für die meisten Bundesliga-Minuten ohne Gegentor. Doch auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere, so erzählen Sie, haben Sie Niedergeschlagenheit und Ausweglosigkeit empfunden. Das muss besonders schwer sein in einer Welt, die von Leistung und Stärke geprägt ist.

Als Fußballer lebst du definitiv in einer Blase. Die hat ihre Vor- und Nachteile. Die Annehmlichkeiten sind für jeden sichtbar. Doch mit den Nachteilen – dem Druck der Fans und Medien, der intensiven Leistungsgesellschaft, der Verantwortung, dem Gefühl, ständig abliefern zu müssen – muss jeder selbst klarkommen.

Timo Hildebrand ist heute Restaurantbesitzer und veranstaltet Yoga-Events

Sie wirkten schon während Ihrer Karriere nicht unbedingt wie der Prototyp des klassischen Fußballers.

Auch ich habe mir zu Stuttgarter Zeiten mal einen Maserati besorgt, weil das halt zum Status als Profi dazugehörte. Allerdings war der auch nur geleast. (Lacht.) Mir ist sehr früh bewusst gewesen, dass ich all diese Statussymbole gar nicht brauchte und auch dem typischen Torwart-Klischee meiner Zeit nicht unbedingt entsprach. Typen wie Oliver Kahn, Uli Stein oder Stefan Klos waren meine Vorbilder, aber ich habe meine Rolle als Schlussmann schon deutlich anders interpretiert als beispielsweise Oliver Kahn. Gleichzeitig darf man als Keeper auch kein Leisetreter sein, sondern muss die Balance finden, um als Führungsfigur auch anerkannt zu werden.

Wussten Sie schon zur aktiven Zeit, was Sie nach dem Ende der Karriere einmal tun würden?

Nein. Mir war natürlich bewusst, dass dann ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde, aber ich habe das auf mich zukommen lassen. Die ersten Jahre bin ich viel gereist, habe Freunde im Ausland besucht. In Erinnerung geblieben ist dabei vor allem ein Roadtrip durch die USA mit einem Freund. Drei Wochen mit dem Auto von der Ostküste bis zur Westküste. Das war eine besondere Erfahrung.

Wie sahen Ihre ersten Gehversuche in Ihrem neuen Berufsleben aus?

Über eine Sportbusinessagentur habe ich die andere Seite des Geschäfts kennenlernen dürfen, das Sponsoring, die Events. Das war sehr lehrreich. Und war eine gute Grundlage für das, was kam.

Seit 2014 sind Sie Gesellschafter und Markenbotschafter einer veganen Lebensmittelmarke, Sie haben ein Yoga-Festival ins Leben gerufen und sind Mitbetreiber eines veganen Restaurants in Stuttgart. Warum gerade diese Engagements?

Ich nehme mir die Freiheit, das zu machen, was mich interessiert und was mir Freude bringt. Ich ernähre mich überwiegend vegan und bin von diesem Lifestyle überzeugt, außerdem gab es damals in Stuttgarts Innenstadt noch kein veganes Restaurant. Da bin ich ganz pragmatisch rangegangen.

Das Restaurantprojekt entstand während der Corona-Pandemie. Welche Hürden lauern noch, wenn man so eine Idee in die Tat umsetzen möchte?

Beim Umbau sind zahlreiche kleine und große Katastrophen passiert, die sehr viel Zeit und Nerven gekostet haben. Die Genehmigungen einzuholen, ein richtiges Team zusammenzustellen – das war auch nicht ohne. Aber heute bin ich stolz und glücklich darüber, dass der Laden läuft.

Welche Verbindungen haben Sie zum Yoga?

Wirklich praktiziert habe ich Yoga erst nach meiner Fußballer-Karriere. Inzwischen bin ich nicht mehr so aktiv, aber damals hat es mir physisch und psychisch gutgetan. Das Schönste beim Yoga ist, das da niemand gegen den anderen kämpft. Jeder ist erstmal mit sich selbst beschäftigt. Es gibt keine Grabenkämpfe, keinen Konkurrenzkampf. Das habe ich als Fußballer ganz anders erlebt.

Was genau passiert eigentlich bei einem Yoga-Festival?

Ganz viel Yoga. (Lacht.) Tatsächlich ging es darum, der vielfältigen Yoga-Community in Stuttgart und Umgebung eine Plattform zu geben. Es wurden Yoga-Kurse angeboten, es gab Thai-Massagen, gutes Essen – alles, was dazu gehört.

Timo Hildebrand spielte für Stuttgart, Hoffenheim, Schalke und Frankfurt in der Bundesliga

Der ehemalige Bundesliga-Keeper, der sich vegan ernährt und Yoga macht. In einem Interview haben Sie über Ihre Rolle als Role Model für einen modernen Typ Mann gesprochen. Zitat: „Ich würde Männer gerne inspirieren, mehr in ihre Weichheit zu gehen und sich neuen Themen zu öffnen.“

Ich finde es einfach wichtig, bestimmte Stereotypen aufzubrechen und die Leute dazu zu motivieren, einfach mal neue Dinge auszuprobieren. So definiere ich auch unser Restaurant: Es geht nicht darum, die Menschen zu bekehren oder Fleischesser zu verurteilen. Versuch‘ es einfach mal, hab eine gute Zeit und dann entscheide selbst, was für dich am besten ist. Das ist beim Essen wie auch beim Yoga eine ziemlich gute Grundeinstellung.

Das Restaurant, Yoga-Botschafter, Ex-Fußballer – bleibt da noch Zeit für andere Aufgaben?

Ich engagiere mich für die Stuttgarter Hilfsorganisation „STELP e.V.“, die an verschiedenen Nothilfeprogrammen beteiligt ist. Zum Beispiel Suppenküchen im Jemen, Hilfseinsätze in der Ukraine oder der Türkei. Als ehemaliger Fußballer habe ich es oft deutlich einfacher Türen bei Unterstützer*innen zu öffnen. Stolz und dankbar bin ich auch für die Rolle als Botschafter für den VfB Stuttgart. Ob Sponsorentermine, Events oder Auslandsreisen – es ist ein schönes Gefühl, Teil der VfB-Familie zu sein.

Für den VfB Stuttgart ist Hildebrand (r.) immer noch Markenbotschafter

Ihr Karriereende liegt nun schon zehn Jahre zurück. Was ist noch geblieben vom Fußballer Timo Hildebrand?

Sicherlich die Arbeitsmoral und die Disziplin. Dieser Antrieb, jede Woche wieder neu zu performen. Und auch dann weitermachen, wenn man mal hingefallen ist oder eine Niederlage akzeptieren musste. Gleichzeitig genieße ich es, dass ich heute viel bewusster lebe als noch zu aktiven Fußballer-Zeiten.

Vermissen Sie etwas aus diesen wilden Jahren im Profifußball?

Es hat seine Zeit gebraucht, sich von den intensiven Emotionen zu lösen, die der Job als Fußballer mit sich bringt. Für mich gehört da auch diese in anderen Berufsgruppen deutlich seltener anzutreffende Intimität dazu, die es mit sich bringt, wenn man mit seinen Kollegen so viel Zeit verbringt und unterwegs ist, wie als Profi während einer Saison. Aber alles hat seine Zeit und diese Zeit ist vorbei. Es wäre doch auch schlimm, wenn man der Vergangenheit hinterherweinen würde.

Interview: Alex Raack

In der "Nachspielzeit" sind bisher erschienen:

Markus Babbel: "Ich will in Wacken auflegen"

Frank Rost: "Wir haben einen Hengst 'Van der Vaart' genannt"

Jimmy Hartwig: "Bertold Brecht? Wo hat der denn gespielt?"

Uli Borowka: "Werde mein Leben lang gegen die Sucht kämpfen"

Tobias Rau: "Ich war naiv und hätte mich wehren müssen"

Richard Golz: "Verhandeln kann man lernen"

Martin Meichelbeck: "Arbeite mit Profis, die an einem Shitstorm leiden"

Marco Russ: "Ein Zufall hat mir das Leben gerettet"

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