60 Jahre Bundesliga
Tobias Rau galt einst als einer der besten Linksverteidiger der Bundesliga, wechselte zum FC Bayern und wurde Nationalspieler. Doch mit 27 beendete er seine Laufbahn vorzeitig – und wurde Lehrer. Ein Job, der ihn bis heute glücklich macht, wie er sagt. Fehlen ihm nicht die großen Gefühle in der Bundesliga?
In der Serie "Nachspielzeit" sprechen Bundesliga-Legenden jeden Freitag über ihr Leben nach dem Fußball.
Tobias Rau, vor welchen Lernprozessen würde der 43-jährige Lehrer Rau den 19-jährigen Bundesliga-Newcomer warnen?
Tobias Rau: Er würde ihn vermutlich ermutigen, sich trotz der strengen Hierarchie in einer Profifußball-Kabine nicht alles gefallen zu lassen und für sich einzustehen. Ich war jung und naiv und habe Verhaltensweisen und Anweisungen erduldet bzw. befolgt, gegen die ich mich auch ruhig hätte wehren können.
Sie haben bei Braunschweig, Wolfsburg, den Bayern und Arminia Bielefeld gespielt – können Sie dafür ein konkretes Beispiel geben?
Nein, ich werde nicht nachkarten. Aber sagen wir es so: In der Rangordnung einer Bundesliga-Mannschaft stehen nicht unbedingt die besten Typen und Charaktere, sondern die besten Fußballer ganz oben. Daran hat sich vermutlich bis heute nicht viel geändert. Im wahren Leben zählen glücklicherweise andere Eigenschaften.
Wie oft passiert es Ihnen heute, dass talentierte Fußballer aus Ihrer Schule Sie um Rat fragen?
Erstaunlicherweise noch recht häufig. Mir hören sie dann sogar besser zu als den eigenen Eltern.
Und was raten Sie einem Teenager, der unbedingt Fußballprofi werden möchte?
Unterstützen würde ich sie oder ihn immer, entscheidend ist nur, einen gesunden Blick auf die Sache zu bewahren. Sollte dieser junge Mensch mit dem Gedanken spielen, die Schule für den Traum vom Profidasein abzubrechen, würde ich da vehement von abraten. Die Chance, am Ende wirklich im bezahlten Fußball zu landen, ist sehr gering.
Ich habe in meiner Karriere so viele Spieler erlebt, die talentierter waren als ich und es dann doch nicht geschafft haben. Wichtig ist auch, nie den Spaß am Fußball zu verlieren. Wir alle haben uns in den Fußball verliebt, weil er uns Freude macht, so wie ich es gerade bei meinem sechsjährigen Sohn erlebe. Der Spaß kann jedoch schnell verloren werden, wenn die Überlastung und der Druck zu hoch werden.
Würden Sie wollen, dass Ihr Sohn in die Fußstapfen seines Vaters tritt?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Natürlich unterstütze ich ihn bei seiner Leidenschaft. Aber gleichzeitig möchte ich ihn gerne vor den vielen Gefahren und Untiefen bewahren, die dieser Job mit sich bringt. Ich habe viele junge Fußballer erlebt, die mit dem Leistungsdruck nicht zurechtkamen und daran kaputt gingen.
Sie haben unter anderem mit Sebastian Deisler zusammengespielt, der seine Karriere auch aus psychischen Gründen frühzeitig beendete. Auch Sie wurden als junger Spieler in den Himmel gelobt, wechselten zum FC Bayern und kamen dort nicht über die Rolle des Reservisten hinaus. Wie sehr haben Sie unter den Belastungen als Profisportler gelitten?
Ich bin damit immer gut zurechtgekommen und habe rechtzeitig aufgehört, bevor mir die Umstände den Spaß am Fußball verdorben hätten. Außerdem habe ich gewisse Dinge nicht erleben müssen. Zum Beispiel kenne ich einige Fälle, wo Beziehungen nach dem Karriereende zerbrochen sind, weil die Partnerin nicht damit klarkam, dass Prominenz und Gehalt dadurch deutlich in den Keller gehen.
Sie haben sich stattdessen für einen anderen sehr stressigen Beruf entschieden. Laut Umfragen fühlt sich jede dritte Lehrkraft in Deutschland überlastet. Wie ist es bei Ihnen?
Durch die Jahre als Profifußballer habe ich mir tatsächlich ein sehr dickes Fell angeeignet und das hilft mir bei meiner Tätigkeit als Lehrer. Als Profi kam ich mir vor, als sei ich jeden Tag an eine Steckdose angeschlossen. Dieses Gefühl habe ich heute nicht mehr. Dazu kommt der glückliche Umstand, dass ich mir als ehemaliger Fußballer erlauben kann, nur eine Zweidrittel-Stelle in der Schule zu besetzen. Was mir zum Beispiel den Freiraum ermöglicht, mich mehr um mein Privatleben zu kümmern. Das war in den Jahren als Fußballer so gut wie gar nicht möglich.
Gibt es eigentlich Gemeinsamkeiten zwischen Sommerferien und Sommerpause?
Ich entdecke eher Unterschiede in meiner eigenen Wahrnehmung, wenn es nach Ferien und Pause wieder losgeht. Der Übergang von Sommerpause in die Saisonvorbereitung war für mich damals immer die größte Herausforderung. Wenn man weiß, dass jetzt Wochen der Quälerei vor einem liegen, Wochen der Schmerzen und der Überwindung. Dreimal am Tag Training, laufen, laufen, laufen, Laktattest. Das war schon heftig. Dagegen ist der erste Schultag nach den Ferien eine echte Wohltat. Auch wenn das manche meiner Lehrerkolleg*innen anders sehen. (Lacht.)
Was für ein Typ Lehrer sind Sie?
Mir macht die Arbeit dann besonders Spaß, wenn es mir gelingt, eine gesunde Nähe zu den Schüler*innen aufzubauen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Natürlich muss man auch mal als klare Autorität auftreten, aber auch dafür war der Fußball eine gute Lehrstelle.
Welche Karrierepläne hat der Lehrer Tobias Rau noch?
Rein vom Grundkonzept her wird es so bleiben bis zu meiner Pension und das macht mich sehr zufrieden, weil ich seit dem ersten Tag glücklich mit meinem neuen Beruf bin. Es war genau die richtige Entscheidung. Von anderen Entwicklungen lasse ich mich überraschen, so wie in der jüngeren Vergangenheit auch. Zwischenzeitlich saß ich mal zweieinhalb Jahre im Aufsichtsrat von Eintracht Braunschweig, der DFB kontaktiert mich ab und an, wenn es um Projekte geht, bei denen Schule und Fußball miteinander verbunden werden. Die nächsten Aufgaben kommen bestimmt.
Stehen Sie eigentlich im Austausch mit anderen Ex-Profis, die einen ähnlichen Weg eingeschlagen sind? Der ehemalige Dortmunder Knut Reinhardt unterrichtet an einer Realschule, Europameister Dieter Eilts ist Erzieher geworden.
Knut Reinhardt habe ich leider nie persönlich kennengelernt, mit Dieter Eilts durfte ich lange in der DFB-Traditionself zusammenspielen. Dass er jetzt als Erzieher arbeitet, wusste ich noch gar nicht. Aber ich kann mir das bei ihm sehr gut vorstellen.
Sie haben Champions League gespielt, wurden Deutscher Meister und Pokalsieger – vermissen Sie in Ihrem Alltag als Lehrer nicht manchmal das Gefühl, vor 50.000 Menschen in einem Stadion Fußball spielen zu dürfen?
Ich werde mich mein Leben lang an diese besonderen Momente und Gefühle erinnern, aber sie fehlen mir nicht. Ich habe schon als Fußballer keine Bühne benötigt und jetzt brauche ich sie erst recht nicht.
An welche dieser Momente erinnern Sie sich besonders gern zurück?
Da fallen mir drei Dinge. Das Länderspiel gegen Kanada im Juni 2003 in Wolfsburg, kurz nachdem ich vom VfL zu den Bayern gewechselt worden war. Wir gewannen 4:1 und ich schoss in der 90. Minute das erste und letzte Tor meiner DFB-Karriere. Dann mein erstes Spiel für die Bayern zum Auftakt der Saison 2003/04: 3:1 gewonnen, ein Tor vorbereitet. Und der 2:1-Sieg gegen Schottland vor fast 90.000 Menschen im Westfalenstadion, mit dem wir uns für die Europameisterschaft 2004 qualifizierten. Nach dem Spiel wurde ich zum "Man of the Match" ausgezeichnet.
Was macht Sie am Lehrerdasein glücklich?
Dass ich den ganzen Arbeitstag mit jungen Menschen zusammenarbeiten darf und dadurch selbst auch noch jung im Kopf bleibe. Die angenehme Atmosphäre an unserer Schule, an der es zwar immer mal wieder Konflikte gibt, wo aber dennoch ein respektvolles Miteinander vorherrscht. Dass ich mich heute in einem beruflichen Umfeld bewege, wo nicht nach Geld, Status oder Leistung beurteilt wird, sondern nur danach, was für ein Mensch man ist. Das macht mich glücklich.
Interview: Alex Raack
In der "Nachspielzeit" sind bisher erschienen:
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