Bundesliga

Uli Borowka: "Werde mein Leben lang gegen die Sucht kämpfen"

Nachspielzeit: Uli Borowka im Bundesliga-Interview
Nachspielzeit: Uli Borowka im Bundesliga-Interview

Uli Borowka galt als der härteste Verteidiger der frühen neunziger Jahre, wurde Nationalspieler und zweimal Deutscher Meister. Doch schon zu aktiven Zeiten war er Alkoholiker. Die Sucht nahm ihm alles, heute hilft er anderen Kranken dabei, den Kampf gegen die Sucht zu gewinnen. Er weiß selbst: Diesen Kampf gewinnt nicht jeder.

In der Serie "Nachspielzeit" sprechen Bundesliga-Legenden jeden Freitag über ihr Leben nach dem Fußball.

Uli Borowka, wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal Alkohol getrunken haben? 

Uli Borowka: Sogar noch auf den Tag genau. Es war der 8. März 2000, ich stand vor einer Entzugsklinik im sauerländischen Bad Fredeburg und leerte einen Träger Bier. In der Klinik war Alkohol selbstverständlich verboten, also trank ich mir vorsorglich nochmal einen an. 

"Hochstätter hat mir das Leben gerettet"

Gingen Sie freiwillig in die Klinik? 

Nicht wirklich. Mein guter Freund, der ehemalige Gladbacher Christian Hochstätter, hatte mir einen Platz besorgt und mich dazu überredet. Damals dachte ich, dass ich nach ein paar Wochen wieder draußen sein würde. Heute weiß ich, dass er mir damals das Leben gerettet hat. 

In den achtziger und neunziger Jahren galten Sie als einer der besten und härtesten Verteidiger der Bundesliga. Doch schon zu aktiven Zeiten waren Sie psychisch abhängig von Alkohol. Was hat Ihnen die Sucht genommen? 

So gut wie alles. Meine Frau, meine beiden Kinder aus erster Ehe, meine Freunde, meine Karriere, mein Geld. Ich habe im Alkoholrausch meine Frau geschlagen, ich habe mir Geld von Freunden geliehen, das sie nie wieder gesehen haben, ich wachte mit einem zentimeterlangen Cut am Schädel unter einer Brücke auf und wusste nicht, wie ich dorthin gekommen war. Einmal versuchte ich mir sogar das Leben zu nehmen.  

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Was bedeutet es Ihnen heute seit mehr als 25 Jahren trocken zu sein? 

Das ist einer der größten Erfolge meines Lebens. Ich bin sehr stolz darauf, vor allem, weil ich weiß, wie brutal die Sucht ist. Am Ende steht meistens der Tod. Oder eine sehr lange Leidenszeit. In meiner Rolle als Suchtberater begleite ich heute Menschen, die bis zu 15 Kaltentzüge hinter sich haben und trotzdem wieder anfingen zu konsumieren. Ich habe es damals geschafft und werde trotzdem mein Leben lang gegen die Sucht kämpfen. 

Seit mehr als zehn Jahren haben Sie einen Sucht- und Präventionshilfeverein, bei Ihnen melden sich Profisportler, aber auch ganz normale Menschen. Wenn der Fußball ein Spiegel der Gesellschaft ist, wie viel Gefahr geht dann im Vergleich zu damals heute vom Alkohol aus? 

Die Süchte haben sich verlagert. Handysucht, Spielsucht oder Internetsucht sind heute weitverbreitet und genauso gefährlich. Die Probleme sind die alten, nur die Ursachen haben sich verändert.  

Auch im Spitzenfußball der Gegenwart, der im Vergleich zu den achtziger und neunziger Jahren noch viel professioneller geworden ist? 

Der Sucht ist es egal, welchen Job du ausübst. Wir konsumieren, weil wir ein Ventil brauchen, um mit Druck, Hektik oder Stress umzugehen. Die öffentliche Wahrnehmung von Profifußballern ist heute viel größer als damals, auch dank den Sozialen Medien. Die Spieler haben enorm viel Druck, sie stehen unter Stress und werden darüber definiert, ob sie ihre Leistung bringen. Und nicht jeder hat ein so breites Kreuz, mit diesen Umständen klarzukommen.  

Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker - Der frühere Fußballnationalspieler Uli Borowka

"Alle haben mir eine Absage erteilt"

25 Jahre trockener Alkoholiker – was hat Sie diese Zeit gelehrt? 

Dass es immer eine Chance für Menschen gibt, sich oder ihr Leben zu ändern. Man muss es nur wirklich wollen. Ich habe viele Menschen in den vergangenen Jahren sterben sehen, die es nicht aus der Sucht geschafft haben. Die wussten alle ganz genau, was passieren würde, wenn sie rückfällig werden. Und haben es doch getan. Der Kampf gegen die Sucht ist eine gigantische Aufgabe.  

Sie beraten und unterstützen nicht nur Suchtkranke, sondern legen auch oft den Finger in die Wunde, wenn es darum geht, wie der Fußball und wie die Gesellschaft mit diesem Thema umgeht. Weil es notwendig ist? 

Weil ich selbst regelmäßig erfahre, dass wir noch gar nicht so weit sind, wie wir uns manchmal einreden. Ich zum Beispiel werde immer noch stigmatisiert, weil ich trockener Alkoholiker bin. Als ich aus der Klinik entlassen wurde und wieder Fuß fassen wollte, habe ich mich bei 20 verschiedenen Klubs in Deutschland beworben.

Ich hatte Länderspiele gemacht, war Deutscher Meister und Europapokalsieger. Ich hätte jeden Job gemacht. Aber alle 20 Vereine haben mir eine Absage erteilt, weil sie Angst hatten, dass ich rückfällig werde. Diese und ähnliche Vorurteile erfahre ich bis heute und damit bin ich nicht allein. Wir sind noch lange nicht so offen, wie wir es gerne wären.  

Ulrich Borowka (SV Werder Bremen) am Ball

Wie kämpfen Sie gegen diese Stigmatisierung an? 

Indem ich einfach weitermache. Im Auftrag der „Sepp-Herberger-Stiftung“ toure ich durch Jugendarrestanstalten und spreche dort mit den Insassen. Das ist längst eine Herzensangelegenheit geworden. Außerdem werde ich von Vereinen, Verbänden oder Arbeitgebern gebucht, überall erzähle ich meine Geschichte und sensibilisiere für die Sucht. In meiner Rolle als Suchtexperte bin ich wie früher als Spieler: kompromisslos und immer geradeheraus.  

Wie bewerten Sie die Rolle der Profiklubs in den Bundesligen beim Thema Prävention und Vorsorge? 

In den Regularien der Nachwuchsleistungszentren wird das zwar thematisiert, aber nach konkreten Lösungsangeboten muss man schon lange suchen. Viele kennen sich einfach nicht aus mit dem Thema Sucht, Prävention gehört auch nicht zur Ausbildung der Trainer oder Nachwuchsleiter. Ich bin mit einigen Vereinen seit Jahren im Kontakt, ein paar von ihnen haben erkannt, wie wichtig das eigentlich in der Arbeit mit jungen Menschen ist.

Ich freue mich über jedes Interesse an meiner Tätigkeit in diesem Bereich. So selbstbewusst bin ich, dass ich sagen kann: In Sachen Suchtprävention, besonders im Leistungssport, bin ich ein Vollprofi. 

Zu Ihrer Arbeit gehört auch Vertrauen und Verschwiegenheit. Gibt es Beispiele, über die Sie konkret sprechen dürfen? 

Nur über die, bei denen die Betroffenen oder Angehörigen einverstanden damit waren, dass die Öffentlichkeit darüber informiert wurde. Wie im Fall des ehemaligen Eishockey-Nationalspielers Constantin Braun, dem ich einen Platz in der Entzugsklinik verschaffen konnte. Oder die Werder-Legende Horst-Dieter Höttges, der schon sehr krank war, dem wir allerdings in den letzten Jahren seines Lebens helfen konnten. 

Borowka mit der Meisterschale

"Diese Kombination wurde mir zum Verhängnis"

Wie läuft das ab, wenn sich Menschen an Sie wenden und sagen: Ich habe ein Problem, bitte helfen Sie mir? 

Zunächst einmal: Wenn ein Mensch diesen Schritt geht, sich also selbst eingestanden hat, ein Problem zu haben und nach Hilfe zu fragen, ist das schon eine riesige Leistung. Ich selbst sehe mich dann eher als erster Ansprechpartner, als Vermittler zu den Kliniken, Ärzten oder Therapeuten. Wobei man sagen muss, dass die Entzugskliniken in Deutschland total ausgelastet sind. Selbst mit meinen Kontakten dauert es aktuell manchmal Monate, einen Platz zu bekommen. Und natürlich begleite ich Menschen auch dann noch, wenn sie den Entzug geschafft haben. Wie ich es anfangs erwähnte: da fängt der Kampf erst richtig an.  

Diego Maradona wird beim Flanken von Uli Borowka angegriffen

Hätte der Suchtberater Borowka dem Fußballprofi und Alkoholiker Borowka helfen können? 

Schwer zu sagen. Ich war ein selbstverliebter und selbstherrlicher Idiot, das sich einredete, kein Problem zu haben. Schließlich brachte ich doch immer meine Leistung, schaltete die Gegenspieler aus, gewann Titel und tat genau das, wofür ich bezahlt wurde. Diese Kombination wurde mir schließlich zum Verhängnis. Zum Glück arbeite ich heute oft mit Menschen zusammen, die deutlich offener dafür sind, sich Hilfe zu holen, als ich es damals war.  

Interview: Alex Raack

In der "Nachspielzeit" sind bisher erschienen:

Markus Babbel: "Ich will in Wacken auflegen"

Frank Rost: "Wir haben einen Hengst 'Van der Vaart' genannt"

Jimmy Hartwig: "Bertold Brecht? Wo hat der denn gespielt?"

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