Bundesliga

Bremen - Drei Punkte in einem Auswärtsspiel bei einem ambitionierten Club - kein Wunder, dass sie beim SV Werder Bremen gut gelaunt waren. Es war vielleicht keine Fußballgala. Am Ende standen nach dem 8. Spieltag aber drei Punkte und Platz drei in der Tabelle. Dementsprechend zufrieden waren Trainer Thomas Schaaf, Regisseur Johan Micoud und Motor Torsten Frings mit dem 2:1-Erfolg bei der Hertha und 19 Zählern nach acht Partien. 13 Jahre ist das her. So lange muss man zurückblicken, um einen besseren Werder-Start in eine Saison zu finden als 2018/19.
Doch nicht nur die aktuelle Bilanz erinnert an die großen alten Zeiten: Auch das unaufgeregte Selbstverständnis, mit dem der Club auf den jüngsten 2:0-Sieg auf Schalke und den damit verbundenen Sprung auf Rang drei reagierte, ist eher das eines Teams, das Stammgast auf europäischer Bühne ist, als das einer Mannschaft, die sich zuletzt 2009/10 für einen internationalen Wettbewerb qualifizierte. Schon vor der Saison hatten Spieler, Trainer und Sportdirektor unisono angekündigt, diese Durststrecke beenden zu wollen. Derzeit spricht viel dafür, dass das tatsächlich gelingt.
Ein wesentliches Argument, warum der starke Start kein Zufall ist, ist die Quote unter Florian Kohfeldt. 32 Partien absolvierte der SVW unter ihm in der Bundesliga und holte dabei 54 Punkte. Nur Dortmund (55) und der FC Bayern (77) waren in diesem Zeitraum noch erfolgreicher. Zudem ist Werder als einzige Mannschaft in diesem Zeitraum zu Hause ungeschlagen. Die Hanseaten müssen also eigentlich nur so weiter machen wie in der bisherigen Ära unter Kohfeldt. Der 36 Jahre alte Fußballlehrer betonte von der ersten Sekunde an, dass er immer den Weg nach vorne suchen und jedes Spiel gewinnen will - und genau so tritt sein Team auf.
Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass im Sommer mit Thomas Delaney und Zlatko Junuzovic zwei Führungsspieler den Club verließen. Dafür wurden mit Nuri Sahin, Claudio Pizarround Davy Klaassen drei Spieler verpflichtet, die jetzt auch außerhalb des Platzes enorm wichtig sind. "Uns zeichnet aus, dass wir eine echte Truppe sind. Wir haben Charaktere im Team", befindet beispielsweise Sahin. Der Ex-Dortmunder pendelt bislang zwischen Bank und Startelf, aber Kohfeldt wird nicht müde, seine Bedeutung für die Mannschaft zu betonen.
Kohfeldt bezeichnete Klaasen im Vorfeld des Duells mit S04 als "Leader der Mannschaft" und in der Tat ist der Gesamtauftritt des Niederländers seit seiner Ankunft beeindruckend. Auf dem Feld ist er der personifizierte Siegeswille und sich auch als Edeltechniker für Defensivarbeit nicht zu schade. Gemeinsam mit Maximilian Eggestein bildet er derzeit eines der stärksten Mittelfeldpaare der Bundesliga. Zuletzt wurde Eggestein vom Gegner häufig in Manndeckung genommen und Klaassen konnte sich austoben. Auf Schalke gehörte das Rampenlicht dann wieder dem deutschen U21-Nationalspieler. Vor den Beiden interpretiert Max Kruse seine Rolle im Angriff so frei wie kaum ein anderer Angreifer. Bremen ist so nur schwer zu stellen.
"Vergesst mir Niklas Moisander nicht", würde Florian Kohfeldt jetzt möglicherweise anmahnen. Der Übungsleiter bedauerte schon mehrfach, dass der erfahrene Innenverteidiger in der öffentlichen Wahrnehmung zu schlecht wegkommen würde. Der Finne ist zwar nicht der Schnellste und auch kein Kopfballungeheuer, aber sein Aufbauspiel und taktisches Verständnis sind exzellent. Von kaum einem anderen Verteidiger könnte man ein Video mit so vielen herausragenden - vornehmlich flachen - Pässen zusammenschneiden. Falls Moisander doch einmal falsch steht, gibt es an Torwart Jiri Pavlenka häufig kein Vorbeikommen. Eine offensichtliche Schwachstelle geben die Werderaner derzeit nicht her.
Das sieht auch Sebastian Langkamp so. "Die mannschaftliche Geschlossenheit ist momentan enorm. Wenn wir so weitermachen, können wir Großes erreichen", erklärte der Abwehrmann nach dem Sieg bei den Knappen. Klaassen ging noch einen Schritt weiter: Auf die Frage, ob Werder nun ein Spitzenteam sei, antwortete der 25-Jährige: "Ein Spitzenteam muss gut Fußball spielen und einen klaren Plan haben, das ist sehr wichtig. Dabei müssen alle Spieler ein Ziel haben, und ich glaube, dass wir das haben."
So ähnlich hätte wahrscheinlich auch Johan Micoud geantwortet, der einer der entscheidenden Bausteine beim Aufschwung der Schaaf-Ära und dem Double 2004 war. In Bremen nannten sie ihn ehrfurchtsvoll "Le Chef". Für Davy Klaassen gibt es noch keinen derartigen Spitznamen, aber sollte der Traum von Europa wahr werden, könnte sich das schnell ändern. "Der Chef" heißt im niederländischen übrigens "De Baas".
Die Saison vor 13 Jahren beendete Werder mit 70 Punkten als Tabellenzweiter hinter Bayern. Miroslav Klose wurde mit 25 Treffern Torschützenkönig und holte sich bei der WM wenig später auch noch den goldenen Schuh. Ganz so weit ist die Mannschaft von Florian Kohfeldt sicherlich noch nicht, aber es sollte lieber niemand auf einen Einbruch der Hanseaten setzen. Dafür ist die Basis mittlerweile zu gefestigt. Der Start in das Rennen um Europa ist jedenfalls fast perfekt geglückt.
Florian Reinecke